Die S?ngerin Antonelli - фон Гёте Иоганн Вольфганг. Страница 1

«Als ich mich in Neapel aufhielt, begegnete daselbst eine Geschichte, die gro?es Aufsehen erregte und woruber die Urteile sehr verschieden waren. Die einen behaupteten, sie sei vollig ersonnen, die andern, sie sei wahr, aber es stecke ein Betrug dahinter. Diese Partei war wieder untereinander selbst uneinig; sie stritten, wer dabei betrogen haben konnte. Noch andere behaupteten, es sei keineswegs ausgemacht, da? geistige Naturen nicht sollten auf Elemente und Korper wirken konnen, und man musse nicht jede wunderbare Begebenheit ausschlie?lich entweder fur Luge oder Trug erklaren. Nun zur Geschichte selbst!

Eine Sangerin, Antonelli genannt, war zu meiner Zeit der Liebling des neapolitanischen Publikums. In der Blute ihrer Jahre, ihrer Figur, ihrer Talente fehlte ihr nichts, wodurch ein Frauenzimmer die Menge reizt und lockt und eine kleine Anzahl Freunde entzuckt und glucklich macht. Sie war nicht unempfindlich gegen Lob und Liebe; allein von Natur ma?ig und verstandig, wu?te sie die Freuden zu genie?en, die beide gewahren, ohne dabei aus der Fassung zu kommen, die ihr in ihrer Lage so notig war. Alle jungen, vornehmen, reichen Leute drangten sich zu ihr, nur wenige nahm sie auf; und wenn sie bei der Wahl ihrer Liebhaber meist ihren Augen und ihrem Herzen folgte, so zeigte sie doch bei allen kleinen Abenteuern einen festen, sichern Charakter, der jeden genauen Beobachter fur sie einnehmen mu?te. Ich hatte Gelegenheit, sie einige Zeit zu sehen, indem ich mit einem ihrer Begunstigten in nahem Verhaltnisse stand. Verschiedene Jahre waren hingegangen, sie hatte Manner genug kennengelernt und unter ihnen viele Gecken, schwache und unzuverlassige Menschen. Sie glaubte bemerkt zu haben, da? ein Liebhaber, der in einem gewissen Sinne dem Weibe alles ist, gerade da, wo sie eines Beistandes am notigsten bedurfte, bei Vorfallen des Lebens, hauslichen Angelegenheiten, bei augenblicklichen Entschlie?ungen meistenteils zu nichts wird, wenn er nicht gar seiner Geliebten, indem er nur an sich selbst denkt, schadet und aus Eigenliebe ihr das Schlimmste zu raten und sie zu den gefahrlichsten Schritten zu verleiten sich gedrungen fuhlt.

Bei ihren bisherigen Verbindungen war ihr Geist meistenteils unbeschaftigt geblieben; auch dieser verlangte Nahrung. Sie wollte endlich einen Freund haben, und kaum hatte sie dieses Bedurfnis gefuhlt, so fand sich unter denen, die sich ihr zu nahern suchten, ein junger Mann, auf den sie ihr Zutrauen warf und der es in jedem Sinne zu verdienen schien.

Es war ein Genueser, der sich um diese Zeit einiger wichtiger Geschafte seines Hauses wegen in Neapel aufhielt. Bei einem sehr glucklichen Naturell hatte er die sorgfaltigste Erziehung genossen. Seine Kenntnisse waren ausgebreitet, sein Geist wie sein Korper vollkommen ausgebildet, sein Betragen konnte fur ein Muster gelten, wie einer, der sich keinen Augenblick vergi?t, sich doch immer in andern zu vergessen scheint. Der Handelsgeist seiner Geburtsstadt ruhete auf ihm; er sah das, was zu tun war, im gro?en an. Doch war seine Lage nicht die glucklichste; sein Haus hatte sich in einige hochst mi?liche Spekulationen eingelassen und war in gefahrliche Prozesse verwickelt. Die Angelegenheiten verwirrten sich mit der Zeit noch mehr, und die Sorge, die er daruber empfand, gab ihm einen Anstrich von Traurigkeit, der ihm sehr wohl anstand und unserm jungen Frauenzimmer noch mehr Mut machte, seine Freundschaft zu suchen, weil sie zu fuhlen glaubte, da? er selbst einer Freundin bedurfe.

Er hatte sie bisher nur an offentlichen Orten und bei Gelegenheit gesehen; sie vergonnte ihm nunmehr auf seine erste Anfrage den Zutritt in ihrem Hause, ja sie lud ihn recht dringend ein, und er verfehlte nicht zu kommen.

Sie versaumte keine Zeit, ihm ihr Zutrauen und ihren Wunsch zu entdecken. Er war verwundert und erfreut uber ihren Antrag. Sie bat ihn instandig, ihr Freund zu bleiben und keine Anforderungen eines Liebhabers zu machen. Sie eroffnete ihm eine Verlegenheit, in der sie sich eben befand und woruber er bei seinen mancherlei Verhaltnissen den besten Rat geben und die schleunigste Einleitung zu ihrem Vorteil machen konnte. Er vertraute ihr dagegen seine Lage, und indem sie ihn zu erheitern und zu trosten wu?te, indem sich in ihrer Gegenwart manches entwickelte, was sonst bei ihm nicht so fruh erwacht ware, schien sie auch seine Ratgeberin zu sein, und eine wechselseitige, auf die edelste Achtung, auf das schonste Bedurfnis gegrundete Freundschaft hatte sich in kurzem zwischen ihnen befestigt. Nur leider uberlegt man bei Bedingungen, die man eingeht, nicht immer, ob sie moglich sind. Er hatte versprochen, nur Freund zu sein, keine Anspruche auf die Stelle eines Liebhabers zu machen, und doch konnte er sich nicht leugnen, da? ihm die von ihr begunstigten Liebhaber uberall im Wege, hochst zuwider, ja ganz und gar unertraglich waren. Besonders fiel es ihm hochst schmerzlich auf, wenn ihn seine Freundin von den guten und bosen Eigenschaften eines solchen Mannes oft launig unterhielt, alle Fehler des Begunstigten genau zu kennen schien und doch noch vielleicht selbigen Abend, gleichsam zum Spott des wertgeschatzten Freundes, in den Armen eines Unwurdigen ausruhte.

Glucklicher- oder unglucklicherweise geschah es bald, da? das Herz der Schonen frei wurde. Ihr Freund bemerkte es mit Vergnugen und suchte ihr vorzustellen, da? der erledigte Platz ihm vor allen andern gebuhre. Nicht ohne Widerstand und Widerwillen gab sie seinen Wunschen Gehor. ›Ich furchte‹, sagte sie, ›da? ich uber dieser Nachgiebigkeit das Schatzbarste auf der Welt, einen Freund, verliere.‹ Sie hatte richtig geweissagt; denn kaum hatte er eine Zeitlang in seiner doppelten Eigenschaft bei ihr gegolten, so fingen seine Launen an, beschwerlicher zu werden: als Freund forderte er ihre ganze Achtung, als Liebhaber ihre ganze Neigung und als ein verstandiger und angenehmer Mann unausgesetzte Unterhaltung. Dies aber war keinesweges nach dem Sinne des lebhaften Madchens; sie konnte sich in keine Aufopferung finden und hatte nicht Lust, irgend jemand ausschlie?liche Rechte zuzugestehen. Sie suchte daher auf eine zarte Weise seine Besuche nach und nach zu verringern, ihn seltner zu sehen und ihn fuhlen zu lassen, da? sie um keinen Preis der Welt ihre Freiheit weggebe.

Sobald er es merkte, fuhlte er sich vom gro?ten Ungluck betroffen, und leider befiehl ihn dieses Unheil nicht allein: seine hauslichen Angelegenheiten fingen an, au?erst schlimm zu werden. Er hatte sich dabei den Vorwurf zu machen, da? er von fruher Jugend an sein Vermogen als eine unerschopfliche Quelle angesehen, da? er seine Handelsangelegenheiten versaumt, um auf Reisen und in der gro?en Welt eine vornehmere und reichere Figur zu spielen, als ihm seine Geburt und sein Einkommen gestatteten. Die Prozesse, auf die er seine Hoffnung setzte, gingen langsam und waren kostspielig. Er mu?te deshalb einigemal nach Palermo, und wahrend seiner letzten Reise machte das kluge Madchen verschiedene Einrichtungen, um ihrer Haushaltung eine andere Wendung zu geben und ihn nach und nach von sich zu entfernen. Er kam zuruck und fand sie in einer andern Wohnung, entfernt von der seinigen, und sah den Marchese von S., der damals auf die offentlichen Lustbarkeiten und Schauspiele gro?en Einflu? hatte, vertraulich bei ihr aus und ein gehen. Dies uberwaltigte ihn, und er fiel in eine schwere Krankheit. Als die Nachricht davon zu seiner Freundin gelangte, eilte sie zu ihm, sorgte fur ihn, richtete seine Aufwartung ein, und als ihr nicht verborgen blieb, da? seine Kasse nicht zum besten bestellt war, lie? sie eine ansehnliche Summe zuruck, die hinreichend war, ihn auf einige Zeit zu beruhigen.

Durch die Anma?ung, ihre Freiheit einzuschranken, hatte der Freund schon viel in ihren Augen verloren; wie ihre Neigung zu ihm abnahm, hatte ihre Aufmerksamkeit auf ihn zugenommen; endlich hatte die Entdeckung, da? er in seinen eigenen Angelegenheiten so unklug gehandelt habe, ihr nicht die gunstigsten Begriffe von seinem Verstande und seinem Charakter gegeben. Indessen bemerkte er die gro?e Veranderung nicht, die in ihr vorgegangen war; vielmehr schien ihre Sorgfalt fur seine Genesung, die Treue, womit sie halbe Tage lang an seinem Lager aushielt, mehr ein Zeichen ihrer Freundschaft und Liebe als ihres Mitleids zu sein, und er hoffte nach seiner Genesung in alle Rechte wieder eingesetzt zu werden.

Wie sehr irrte er sich! In dem Ma?e, wie seine Gesundheit wiederkam und seine Krafte sich erneuerten, verschwand bei ihr jede Art von Neigung und Zutrauen, ja er schien ihr so lastig, als er ihr sonst angenehm gewesen war. Auch war seine Laune, ohne da? er es selbst bemerkte, wahrend dieser Begebenheiten hochst bitter und verdrie?lich geworden; alle Schuld, die er an seinem Schicksal haben konnte, warf er auf andere und wu?te sich in allem vollig zu rechtfertigen. Er sah in sich nur einen unschuldig verfolgten, gekrankten, betrubten Mann und hoffte vollige Entschadigung alles Ubels und aller Leiden von einer vollkommenen Ergebenheit seiner Geliebten.

Mit diesen Anforderungen trat er gleich in den ersten Tagen hervor, als er wieder ausgehen und sie besuchen konnte. Er verlangte nichts weniger, als da? sie sich ihm ganz ergeben, ihre ubrigen Freunde und Bekannten verabschieden, das Theater verlassen und ganz allein mit ihm und fur ihn leben sollte. Sie zeigte ihm die Unmoglichkeit, seine Forderungen zu bewilligen, erst auf eine scherzhafte, dann auf eine ernsthafte Weise, und war leider endlich genotigt, ihm die traurige Wahrheit, da? ihr Verhaltnis ganzlich vernichtet sei, zu gestehen. Er verlie? sie und sah sie nicht wieder.

Er lebte noch einige Jahre in einem sehr eingeschrankten Kreise oder vielmehr blo? in der Gesellschaft einer alten, frommen Dame, die mit ihm in einem Hause wohnte und sich von wenigen Renten erhielt. In dieser Zeit gewann er den einen Proze? und bald darauf den andern; allein seine Gesundheit war untergraben und das Gluck seines Lebens verloren. Bei einem geringen Anla? fiel er abermals in eine schwere Krankheit; der Arzt kundigte ihm den Tod an. Er vernahm sein Urteil ohne Widerwillen, nur wunschte er, seine schone Freundin noch einmal zu sehen. Er schickte seinen Bedienten zu ihr, der sonst, in glucklichern Zeiten, manche gunstige Antwort gebracht hatte. Er lie? sie bitten; sie schlug es ab. Er schickte zum zweitenmal und lie? sie beschworen; sie beharrte auf ihrem Sinne. Endlich, es war schon tief in der Nacht, sendete er zum drittenmal; sie ward bewegt und vertraute mir ihre Verlegenheit, denn ich war eben mit dem Marchese und einigen andern Freunden bei ihr zum Abendessen. Ich riet ihr und bat sie, dem Freunde den letzten Liebesdienst zu erzeigen; sie schien unentschlossen, aber nach einigem Nachdenken nahm sie sich zusammen. Sie schickte den Bedienten mit einer abschlaglichen Antwort weg, und er kam nicht wieder.