Hermann und Dorothea - Goethe Johann Wolfgang. Страница 15

Urania

Aussicht

Musen, die ihr so gern die herzliche Liebe begunstigt,

Auf dem Wege bisher den trefflichen Jungling geleitet,

An die Brust ihm das Madchen noch vor der Verlobung gedruckt habt:

Helfet auch ferner den Bund des lieblichen Paares vollenden,

Teilet die Wolken sogleich, die uber ihr Gluck sich heraufziehn!

Aber saget vor allem, was jetzt im Hause geschiehet!

Ungeduldig betrat die Mutter zum drittenmal wieder

Schon das Zimmer der Manner, das sorglich erst sie verlassen,

Sprechend vom nahen Gewitter, vom schnellen Verdunkeln des Mondes;

Dann vom Au?enbleiben des Sohns und der Nachte Gefahren;

Tadelte lebhaft die Freunde, da?, ohne das Madchen zu sprechen,

Ohne zu werben fur ihn, sie so bald sich vom Jungling getrennet.

«Mache nicht schlimmer das Ubel!«versetzt' unmutig der Vater;

«Denn du siehst, wir harren ja selbst, und warten des Ausgangs.»

Aber gelassen begann der Nachbar sitzend zu sprechen:

«Immer verdank ich es doch in solch unruhiger Stunde

Meinem seligen Vater, der mir, als Knaben, die Wurzel

Aller Ungeduld ausri?, da? auch kein Faschen zuruckblieb

Und ich erwarten lernte sogleich, wie keiner der Weisen.»

«Sagt«, versetzte der Pfarrer,»welch Kunststuck brauchte der Alte?»

«Das erzahl ich Euch gern, denn jeder kann es sich merken»,

Sagte der Nachbar darauf.»Als Knabe stand ich am Sonntag

Ungeduldig einmal, die Kutsche begierig erwartend,

Die uns sollte hinaus zum Brunnen fuhren der Linden.

Doch sie kam nicht; ich lief wie ein Wiesel dahin und dorthin,

Treppen hinauf und hinab und von dem Fenster zur Ture.

Meine Hande prickelten mir; ich kratzte die Tische,

Trappelte stampfend herum, und nahe war mir das Weinen.

Alles sah der gelassene Mann; doch als ich es endlich

Gar zu toricht betrieb, ergriff er mich ruhig beim Arme,

Fuhrte zum Fenster mich hin und sprach die bedenklichen Worte:

›Siehst du des Tischlers da druben fur heute geschlossene Werkstatt?

Morgen eroffnet er sie; da ruhret sich Hobel und Sage,

Und so geht es von fruhe bis Abend die flei?igen Stunden.

Aber bedenke dir dies: der Morgen wird kunftig erscheinen,

Da der Meister sich regt mit allen seinen Gesellen

Dir den Sarg zu bereiten und schnell und geschickt zu vollenden;

Und sie tragen das bretterne Haus geschaftig heruber,

Das den Geduld'gen zuletzt und den Ungeduldigen aufnimmt,

Und gar bald ein druckendes Dach zu tragen bestimmt ist.‹

Alles sah ich sogleich im Geiste wirklich geschehen,

Sah die Bretter gefugt und die schwarze Farbe bereitet,

Sa? geduldig nunmehr und harrete ruhig der Kutsche.

Rennen andere nun in zweifelhafter Erwartung

Ungebardig herum, da mu? ich des Sarges gedenken.»

Lachelnd sagte der Pfarrer:»Des Todes ruhrendes Bild steht

Nicht als Schrecken dem Weisen und nicht als Ende dem Frommen.

Jenen drangt es ins Leben zuruck und lehret ihn handeln;

Diesem starkt es, zu kunftigem Heil, im Trubsal die Hoffnung;

Beiden wird zum Leben der Tod. Der Vater mit Unrecht

Hat dem empfindlichen Knaben den Tod im Tode gewiesen.

Zeige man doch dem Jungling des edel reifenden Alters

Wert und dem Alter die Jugend, da? beide des ewigen Kreises

Sich erfreuen und so sich Leben im Leben vollende!»

Aber die Tur ging auf. Es zeigte das herrliche Paar sich,

Und es erstaunten die Freunde, die liebenden Eltern erstaunten

Uber die Bildung der Braut, des Brautigams Bildung vergleichbar;

Ja, es schien die Ture zu klein, die hohen Gestalten

Einzulassen, die nun zusammen betraten die Schwelle.

Hermann stellte den Eltern sie vor mit fliegenden Worten.

«Hier ist«, sagt' er,»ein Madchen, so wie Ihr im Hause sie wunschet.

Lieber Vater, empfanget sie gut; sie verdient es. Und liebe

Mutter, befragt sie sogleich nach dem ganzen Umfang der Wirtschaft,

Da? Ihr seht, wie sehr sie verdient, Euch naher zu werden.»

Eilig fuhrt' er darauf den trefflichen Pfarrer beiseite,

Sagte:»Wurdiger Herr, nun helft mir aus dieser Besorgnis

Schnell, und loset den Knoten, vor dessen Entwicklung ich schaudre.

Denn ich habe das Madchen als meine Braut nicht geworben,

Sondern sie glaubt, als Magd in das Haus zu gehn, und ich furchte,

Da? unwillig sie flieht, sobald wir gedenken der Heirat.

Aber entschieden sei es sogleich! Nicht langer im Irrtum

Soll sie bleiben, wie ich nicht langer den Zweifel ertrage.

Eilet und zeiget auch hier die Weisheit, die wir verehren!»

Und es wendete sich der Geistliche gleich zur Gesellschaft.

Aber leider getrubt war durch die Rede des Vaters

Schon die Seele des Madchens; er hatte die munteren Worte

Mit behaglicher Art im guten Sinne gesprochen:

«Ja, das gefallt mir, mein Kind! Mit Freuden erfahr' ich, der Sohn hat

Auch wie der Vater Geschmack, der seinerzeit es gewiesen.

Immer die Schonste zum Tanze gefuhrt und endlich die Schonste

In sein Haus als Frau sich geholt; das Mutterchen war es.

Denn an der Braut, die der Mann sich erwahlt, la?t gleich sich erkennen,

Welches Geistes er ist, und ob er sich eigenen Wert fuhlt.

Aber Ihr brauchtet wohl auch nur wenig Zeit zur Entschlie?ung?

Denn mich dunket furwahr, ihm ist so schwer nicht zu folgen.»

Hermann horte die Worte nur fluchtig; ihm bebten die Glieder

Innen, und stille war der ganze Kreis nun auf einmal.

Aber das treffliche Madchen, von solchen spottischen Worten,

Wie sie ihr schienen, verletzt und tief in der Seele getroffen,

Stand, mit fliegender Rote die Wange bis gegen den Nacken

Ubergossen; doch hielt sie sich an und nahm sich zusammen,

Sprach zu dem Alten darauf, nicht vollig die Schmerzen verbergend:

«Traun! zu solchem Empfang hat mich der Sohn nicht bereitet,

Der mir des Vaters Art geschildert, des trefflichen Burgers;

Und ich wei?, ich stehe vor Euch, dem gebildeten Manne,

Der sich klug mit jedem betragt und gema? den Personen.

Aber so scheint es, Ihr fuhlt nicht Mitleid genug mit der Armen,

Die nun die Schwelle betritt und die Euch zu dienen bereit ist;

Denn sonst wurdet Ihr nicht mit bitterem Spotte mir zeigen,

Wie entfernt mein Geschick von Eurem Sohn und von Euch sei.

Freilich tret ich nur arm, mit kleinem Bundel ins Haus ein,

Das mit allem versehn die frohen Bewohner gewi? macht;

Aber ich kenne mich wohl und fuhle das ganze Verhaltnis.

Ist es edel, mich gleich mit solchem Spotte zu treffen,

Der auf der Schwelle beinah mich schon aus dem Hause zurucktreibt?»

Bang bewegte sich Hermann und winkte dem geistlichen Freunde,

Da? er ins Mittel sich schluge, sogleich zu verscheuchen den Irrtum.

Eilig trat der Kluge heran und schaute des Madchens

Stillen Verdru? und gehaltenen Schmerz und Tranen im Auge.

Da befahl ihm sein Geist, nicht gleich die Verwirrung zu losen,

Sondern vielmehr das bewegte Gemut zu prufen des Madchens.

Und er sagte darauf zu ihr mit versuchenden Worten:

«Sicher, du uberlegtest nicht wohl, o Madchen des Auslands,

Wenn du bei Fremden zu dienen dich allzu eilig entschlossest,

Was es hei?e, das Haus des gebietenden Herrn zu betreten;

Denn der Handschlag bestimmt das ganze Schicksal des Jahres,

Und gar vieles zu dulden verbindet ein einziges Jawort.

Sind doch nicht das Schwerste des Diensts die ermudenden Wege,

Nicht der bittere Schwei? der ewig drangenden Arbeit;

Denn mit dem Knechte zugleich bemuht sich der tatige Freie:

Aber zu dulden die Laune des Herrn, wenn er ungerecht tadelt,

Oder dieses und jenes begehrt, mit sich selber in Zwiespalt,

Und die Heftigkeit noch der Frauen, die leicht sich erzurnet,

Mit der Kinder roher und ubermutiger Unart:

Das ist schwer zu ertragen, und doch die Pflicht zu erfullen

Ungesaumt und rasch, und selbst nicht murrisch zu stocken.

Doch du scheinst mir dazu nicht geschickt, da die Scherze des Vaters

Schon dich treffen so tief, und doch nichts gewohnlicher vorkommt,

Als ein Madchen zu plagen, da? wohl ihr ein Jungling gefalle.»

Also sprach er. Es fuhlte die treffende Rede das Madchen,

Und sie hielt sich nicht mehr; es zeigten sich ihre Gefuhle

Machtig, es hob sich die Brust, aus der ein Seufzer hervordrang,

Und sie sagte sogleich mit hei? vergossenen Tranen:

«Oh, nie wei? der verstandige Mann, der im Schmerz uns zu raten

Denkt, wie wenig sein Wort, das kalte, die Brust zu befreien

Je von dem Leiden vermag, das ein hohes Schicksal uns auflegt.

Ihr seid glucklich und froh, wie sollt' ein Scherz Euch verwunden?

Doch der Krankende fuhlt auch schmerzlich die leise Beruhrung.

Nein, es hulfe mir nichts, wenn selbst mir Verstellung gelange.

Zeige sich gleich, was spater nur tiefere Schmerzen vermehrte

Und mich drangte vielleicht in stillverzehrendes Elend.

La?t mich wieder hinweg! Ich darf im Hause nicht bleiben;

Ich will fort und gehe, die armen Meinen zu suchen,

Die ich im Ungluck verlie?, fur mich nur das Bessere wahlend.

Dies ist mein fester Entschlu?; und ich darf Euch darum nun bekennen,

Was im Herzen sich sonst wohl Jahre hatte verborgen.

Ja, des Vaters Spott hat tief mich getroffen: nicht, weil ich

Stolz und empfindlich bin, wie es wohl der Magd nicht geziemet,

Sondern weil mir furwahr im Herzen die Neigung sich regte

Gegen den Jungling, der heute mir als ein Erretter erschienen.

Denn als er erst auf der Stra?e mich lie?, so war er mir immer

In Gedanken geblieben; ich dachte des glucklichen Madchens,

Das er vielleicht schon als Braut im Herzen mochte bewahren.

Und als ich wieder am Brunnen ihn fand, da freut' ich mich seines

Anblicks so sehr, als war' mir der Himmlischen einer erschienen.

Und ich folgt' ihm so gern, als nun er zur Magd mich geworben.

Doch mir schmeichelte freilich das Herz (ich will es gestehen)

Auf dem Wege hierher, als konnt' ich vielleicht ihn verdienen,

Wenn ich wurde des Hauses dereinst unentbehrliche Stutze.

Aber, ach! nun seh ich zuerst die Gefahren, in die ich

Mich begab, so nah dem still Geliebten zu wohnen.

Nun erst fuhl ich, wie weit ein armes Madchen entfernt ist

Von dem reicheren Jungling, und wenn sie die Tuchtigste ware.

Alles das hab ich gesagt, damit ihr das Herz nicht verkennet,

Das ein Zufall beleidigt, dem ich die Besinnung verdanke.