Iphigenie auf Tauris - Goethe Johann Wolfgang. Страница 2
Erster Aufzug
Erster Auftritt
Iphigenie:
Heraus in eure Schatten, rege Wipfel
Des alten, heil'gen, dichtbelaubten Haines,
Wie in der Gottin stilles Heiligtum,
Tret ich noch jetzt mit schauderndem Gefuhl,
Als wenn ich sie zum erstenmal betrate,
Und es gewohnt sich nicht mein Geist hierher.
So manches Jahr bewahrt mich hier verborgen
Ein hoher Wille, dem ich mich ergebe;
Doch immer bin ich, wie im ersten, fremd.
Denn ach! mich trennt das Meer von den Geliebten,
Und an dem Ufer steh ich lange Tage,
Das Land der Griechen mit der Seele suchend;
Und gegen meine Seufzer bringt die Welle
Nur dumpfe Tone brausend mir heruber.
Weh dem, der fern von Eltern und Geschwistern
Ein einsam Leben fuhrt! Ihm zehrt der Gram
Das nachste Gluck vor seinen Lippen weg,
Ihm schwarmen abwarts immer die Gedanken
Nach seines Vaters Hallen, wo die Sonne
Zuerst den Himmel vor ihm aufschlo?, wo
Sich Mitgeborne spielend fest und fester
Mit sanften Banden aneinanderknupften.
Ich rechte mit den Gottern nicht; allein
Der Frauen Zustand ist beklagenswert.
Zu Haus und in dem Kriege herrscht der Mann,
Und in der Fremde wei? er sich zu helfen.
Ihn freuet der Besitz; ihn kront der Sieg!
Ein ehrenvoller Tod ist ihm bereitet.
Wie eng-gebunden ist des Weibes Gluck!
Schon einem rauhen Gatten zu gehorchen
Ist Pflicht und Trost; wie elend, wenn sie gar
Ein feindlich Schicksal in die Ferne treibt!
So halt mich Thoas hier, ein edler Mann,
In ernsten, heil'gen Sklavenbanden fest.
O wie beschamt gesteh ich, da? ich dir
Mit stillem Widerwillen diene, Gottin,
Dir, meiner Retterin! Mein Leben sollte
Zu freiem Dienste dir gewidmet sein.
Auch hab ich stets auf dich gehofft und hoffe
Noch jetzt auf dich, Diana, die du mich,
Des gro?ten Koniges versto?ne Tochter,
In deinen heil'gen, sanften Arm genommen.
Ja, Tochter Zeus', wenn du den hohen Mann,
Den du, die Tochter fordernd, angstigtest,
Wenn du den gottergleichen Agamemnon,
Der dir sein Liebstes zum Altare brachte,
Von Trojas umgewandten Mauern ruhmlich
Nach seinem Vaterland zuruckbegleitet,
Die Gattin ihm, Elektren und den Sohn,
Die schonen Schatze, wohl erhalten hast:
So gib auch mich den Meinen endlich wieder,
Und rette mich, die du vom Tod errettet,
Auch von dem Leben hier, dem zweiten Tode!
Zweiter Auftritt
Iphigenie. Arkas.
Arkas:
Der Konig sendet mich hierher und beut
Der Priesterin Dianens Gru? und Heil!
Dies ist der Tag, da Tauris seiner Gottin
Fur wunderbare neue Siege dankt.
Ich eile vor dem Konig und dem Heer,
Zu melden, da? er kommt und da? es naht.
Iphigenie:
Wir sind bereit, sie wurdig zu empfangen,
Und unsre Gottin sieht willkommnem Opfer
Von Thoas' Hand mit Gnadenblick entgegen.
Arkas:
O fand ich auch den Blick der Priesterin,
Der werten, vielgeehrten, deinen Blick,
O heil'ge Jungfrau, heller, leuchtender,
Uns allen gutes Zeichen! Noch bedeckt
Der Gram geheimnisvoll dein Innerstes;
Vergebens harren wir schon jahrelang
Auf ein vertraulich Wort aus deiner Brust.
Solang ich dich an dieser Statte kenne,
Ist dies der Blick, vor dem ich immer schaudre;
Und wie mit Eisenbanden bleibt die Seele
Ins Innerste des Busens dir geschmiedet.
Iphigenie:
Wie's der Vertriebnen, der Verwaisten ziemt.
Arkas:
Scheinst du dir hier vertrieben und verwaist?
Iphigenie:
Kann uns zum Vaterland die Fremde werden?
Arkas:
Und dir ist fremd das Vaterland geworden.
Iphigenie:
Das ist's, warum mein blutend Herz nicht heilt
In erster Jugend, da sich kaum die Seele
An Vater, Mutter und Geschwister band,
Die neuen Scho?linge, gesellt und lieblich,
Vom Fu? der alten Stamme himmelwarts
Zu dringen strebten: leider fa?te da
Ein fremder Fluch mich an und trennte mich
Von den Geliebten, ri? das schone Band
Mit ehrner Faust entzwei. Sie war dahin,
Der Jugend beste Freude, das Gedeihn
Der ersten Jahre. Selbst gerettet, war
Ich nur ein Schatten mir, und frische Lust
Des Lebens bluht in mir nicht wieder auf.
Arkas:
Wenn du dich so unglucklich nennen willst,
So darf ich dich auch wohl undankbar nennen.
Iphigenie:
Dank habt ihr stets.
Arkas:
Doch nicht den reinen Dank,
Um dessentwillen man die Wohltat tut;
Den frohen Blick, der ein zufriednes Leben
Und ein geneigtes Herz dem Wirte zeigt.
Als dich ein tief geheimnisvolles Schicksal
Vor so viel Jahren diesem Tempel brachte,
Kam Thoas, dir als einer Gottgegebnen
Mit Ehrfurcht und mit Neigung zu begegnen,
Und dieses Ufer ward dir hold und freundlich,
Das jedem Fremden sonst voll Grausens war,
Weil niemand unser Reich vor dir betrat,
Der an Dianens heil'gen Stufen nicht
Nach altem Brauch, ein blutig Opfer, fiel.
Iphigenie:
Frei atmen macht das Leben nicht allein.
Welch Leben ist's, das an der heil'gen Statte
Gleich einem Schatten um sein eigen Grab
Ich nur vertrauern mu?? Und nenn ich das
Ein frohlich selbstbewu?tes Leben, wenn
Uns jeder Tag, vergebens hingetraumt,
Zu jenen grauen Tagen vorbereitet,
Die an dem Ufer Lethes selbstvergessend
Die Trauerschar der Abgeschiednen feiert?
Ein unnutz Leben ist ein fruher Tod;
Dies Frauenschicksal ist vor allen meins.
Arkas:
Den edlen Stolz, da? du dir selbst nicht gnugest,
Verzeih ich dir, sosehr ich dich bedaure:
Er raubet den Genu? des Lebens dir.
Du hast hier nichts getan seit deiner Ankunft?
Wer hat des Konigs truben Sinn erheitert?
Wer hat den alten grausamen Gebrauch,
Da? am Altar Dianens jeder Fremde
Sein Leben blutend la?t, von Jahr zu Jahr
Mit sanfter Uberredung aufgehalten
Und die Gefangnen vom gewissen Tod
Ins Vaterland so oft zuruckgeschickt?
Hat nicht Diane, statt erzurnt zu sein,
Da? sie der blut'gen alten Opfer mangelt,
Dein sanft Gebet in reichem Ma? erhort?
Umschwebt mit frohem Fluge nicht der Sieg
Das Heer? und eilt er nicht sogar voraus?
Und fuhlt nicht jeglicher ein besser Los,
Seitdem der Konig, der uns weis' und tapfer
So lang gefuhret, nun sich auch der Milde
In deiner Gegenwart erfreut und uns
Des schweigenden Gehorsams Pflicht erleichtert?
Das nennst du unnutz, wenn von deinem Wesen
Auf Tausende herab ein Balsam traufelt?
Wenn du dem Volke, dem ein Gott dich brachte,
Des neuen Gluckes ew'ge Quelle wirst
Und an dem unwirtbaren Todesufer
Dem Fremden Heil und Ruckkehr zubereitest?
Iphigenie:
Das Wenige verschwindet leicht dem Blick,
Der vorwarts sieht, wie viel noch ubrigbleibt.
Arkas:
Doch lobst du den, der, was er tut, nicht schatzt?
Iphigenie:
Man tadelt den, der seine Taten wagt.
Arkas:
Auch den, der wahren Wert zu stolz nicht achtet,
Wie den, der falschen Wert zu eitel hebt.
Glaub mir und hor auf eines Mannes Wort,
Der treu und redlich dir ergeben ist:
Wenn heut der Konig mit dir redet, so
Erleichtr ihm, was er dir zu sagen denkt.
Iphigenie:
Du angstest mich mit jedem guten Worte;
Oft wich ich seinem Antrag muhsam aus.
Arkas:
Bedenke, was du tust und was dir nutzt.
Seitdem der Konig seinen Sohn verloren,
Vertraut er wenigen der Seinen mehr,
Und diesen wenigen nicht mehr wie sonst.
Mi?gunstig sieht er jedes Edlen Sohn
Als seines Reiches Folger an, er furchtet
Ein einsam hulflos Alter, ja vielleicht
Verwegnen Aufstand und fruhzeit'gen Tod.
Der Skythe setzt ins Reden keinen Vorzug,
Am wenigsten der Konig. Er, der nur
Gewohnt ist, zu befehlen und zu tun,
Kennt nicht die Kunst, von weitem ein Gesprach
Nach seiner Absicht langsam fein zu lenken.
Erschwer's ihm nicht durch ein ruckhaltend Weigern,
Durch ein vorsatzlich Mi?verstehen. Geh
Gefallig ihm den halben Weg entgegen.
Iphigenie:
Soll ich beschleunigen, was mich bedroht?
Arkas:
Willst du sein Werben eine Drohung nennen?
Iphigenie:
Es ist die schrecklichste von allen mir.
Arkas:
Gib ihm fur seine Neigung nur Vertraun.
Iphigenie:
Wenn er von Furcht erst meine Seele lost.
Arkas:
Warum verschweigst du deine Herkunft ihm?
Iphigenie:
Weil einer Priesterin Geheimnis ziemt.
Arkas:
Dem Konig sollte nichts Geheimnis sein;
Und ob er's gleich nicht fordert, fuhlt er's doch
Und fuhlt es tief in seiner gro?en Seele,
Da? du sorgfaltig dich vor ihm verwahrst.
Iphigenie:
Nahrt er Verdru? und Unmut gegen mich?
Arkas:
So scheint es fast. Zwar schweigt er auch von dir;
Doch haben hingeworfne Worte mich
Belehrt, da? seine Seele fest den Wunsch
Ergriffen hat, dich zu besitzen. La?,
O uberla? ihn nicht sich selbst! damit
In seinem Busen nicht der Unmut reife
Und dir Entsetzen bringe, du zu spat
An meinen treuen Rat mit Reue denkest.
Iphigenie:
Wie? Sinnt der Konig, was kein edler Mann,
Der seinen Namen liebt und dem Verehrung
Der Himmlischen den Busen bandiget,
Je denken sollte? Sinnt er, vom Altar
Mich in sein Bette mit Gewalt zu ziehn?
So ruf ich alle Gotter und vor allen
Dianen, die entschlo?ne Gottin, an,
Die ihren Schutz der Priesterin gewi?
Und Jungfrau einer Jungfrau gern gewahrt.
Arkas:
Sei ruhig! Ein gewaltsam neues Blut
Treibt nicht den Konig, solche Junglingstat
Verwegen auszuuben. Wie er sinnt,
Befurcht ich andern harten Schlu? von ihm,
Den unaufhaltbar er vollenden wird:
Denn seine Seel ist fest und unbeweglich.
Drum bitt ich dich, vertrau ihm, sei ihm dankbar,
Wenn du ihm weiter nichts gewahren kannst.
Iphigenie:
O sage, was dir weiter noch bekannt ist!
Arkas:
Erfahr's von ihm. Ich seh den Konig kommen;
Du ehrst ihn, und dich hei?t dein eigen Herz,