Die Seemannsbraut: Sir Richard und die Ehre der Bolithos - Kent Alexander. Страница 2

Das Land lag als grunes Panorama vor den Heckfenstern. Antigua. Schon der Name war fur ihn wie ein Stich ins Herz. Er beschwor so viele Erinnerungen herauf, so viele Gesichter und Stimmen.

Es war hier in English Harbour gewesen, wo er als eben beforderter Commander sein allererstes Schiff ubernommen hatte: die kleine wendige Korvette Sparrow. Eine ganz andere Art von Schiff, aber damals war der Krieg mit den rebellierenden Amerikanern auch ganz anders gewesen. Wie lange schien das alles schon zuruckzuliegen! Die Schiffe und Gesichter von damals, der Schmerz und die Freuden der Jugend.

Er bedachte ihre Uberfahrt von England. Man konnte sich keine schnellere wunschen: drei?ig Tage. Die alte Hyperion hatte reagiert wie ein Vollblut und einen Konvoi von Handelsschiffen begleitet. Mehrere davon waren vollgestopft mit Soldaten: Verstarkungen oder Ersatz fur die englischen Kompanien in der Karibik. Eher letzteres, dachte er duster. Soldaten starben hier drau?en wie die Fliegen an dem einen oder anderen Fieber, ohne jemals den Knall einer franzosischen Muskete gehort zu haben.

Bolitho trat langsam an die Heckfenster, seine Augen gegen die grelle Sonne abschirmend. Wieder wurde er sich seines Grolls bewu?t, seiner Abneigung gegen diese Garnison und seiner Verargerung daruber, da? die Situation Diplomatie und Prunk verlangen wurde, die aufzubieten er keine Lust hatte. Es hatte bereits mit dem vorgeschriebenen Salut begonnen. Sie wechselten Schu? um Schu? mit der nahen Kustenbatterie, uber der sich die Unionsflagge in der feuchten Hitze nicht einmal krauselte.

Er sah das Wachboot uber seinem eigenen Spiegelbild dahingleiten, die Ruder eingelegt, wahrend der Bootsoffizier auf das Ankern des Zweideckers wartete.

Ohne selbst oben an Deck zu sein, konnte Bolitho sich alles ausmalen: die Manner an den Brassen und Fallen, andere, die zu beiden Seiten auf den gro?en Rahen auslegten, um die gewaltigen Segel zu bandigen und zu falten, was von Land dann so aussah, als ob jeder Streifen Leinwand durch den Griff einer einzigen Hand verschwunden sei.

Land! Fur den Seemann war es immer ein Traum, ein neues Abenteuer.

Bolitho warf einen Blick auf seine Galauniform, die auf einer Stuhllehne bereit hing. Als er vor Jahren hier das Kommando auf der Sparrow erhielt, hatte er nie eine Admiralsuniform fur sich erwartet. Tod durch Unglucksfall oder durch eine Kanonenkugel, das ja, sogar Versagen. Denn Mangel an Gelegenheit sich auszuzeichnen oder die Gunst eines Admirals zu gewinnen, machte jede Beforderung zu einer schwer zu nehmenden Hurde.

Nun aber war der Admiralsrock eine Realitat, geschmuckt mit zwei Goldepauletten und den dazugehorenden Silbersternen. Und doch. Er strich die Haarstrahne uber seinem rechten Auge zuruck. Wie die tiefe Narbe auf seiner Stirn, wo ein Entermesser sein Leben beinahe beendet hatte, hatte sich nichts verandert. Nicht einmal die Ungewi?heit.

Er hatte geglaubt, er wurde in seine Rolle hineinwachsen, obgleich der Schritt vom Kommandanten zum Flaggoffizier der gro?te von allen war. Sir Richard Bolitho, Ritter des Bath-Ordens, Vizeadmiral der Roten Flotte und nach Nelson der jungste auf der Admiralsliste. Er lachelte schwach. Der Konig hatte sich nicht einmal an seinen Namen erinnert, als er ihn adelte. Bolitho hatte es hingenommen, da? er nicht mehr mit dem taglichen Borddienst konfrontiert war, auch nicht auf den Schiffen, die seine Flagge trugen. Als Leutnant hatte er oft achtern die ferne Gestalt des Kommandanten gemustert, mit Ehrfurcht, wenn auch nicht immer mit Respekt. Als er dann selbst Kommandant war, hatte er oft wachgelegen, besorgt dem Wind und den Bordgerauschen lauschend, und sich eisern zuruckgehalten, um nicht an Deck zu sturzen, wenn er dachte, der Wachoffizier ware den Gefahren nicht gewachsen. Es war ihm schwergefallen, Aufgaben an andere zu ubertragen; aber wenigstens war er auf seinem eigenen Schiff gewesen. Fur die Besatzung eines Kriegsschiffes kam der Kommandant gleich nach dem Herrgott. Und einige sagten unfreundlicherweise, da? dem nur wegen Gottes hoherem Dienstalter so sei.

Doch als Flaggoffizier, als Admiral, hatte er uber allem zu stehen, Kommandanten seines Geschwaders zu kontrollieren und ihre Krafte dort einzusetzen, wo sie die beste Wirkung erzielten. Seine Macht war gro?er, aber auch seine Verantwortung. Nur wenige Flaggoffiziere erlaubten sich jemals zu vergessen, da? Admiral Byng wegen Feigheit von einem Exekutionskommando an Deck seines eigenen Flaggschiffes erschossen worden war.

Vielleicht hatte er sich mit dem hohen Rang und dem neuen Adelstitel zufriedengegeben und ware se?haft geworden, wenn sein Privatleben glucklicher gewesen ware. Doch sofort wies er diese Gedanken von sich. Er tastete nach seinem linken Auge, massierte das Lid und starrte gezielt auf die vorbeischwenkende grune Kuste. Gottlob, er sah sie wieder scharf und klar. Doch das wurde nicht so bleiben. Der Arzt in London hatte ihn gewarnt: Sein Auge benotige Ruhe, Behandlung und regelma?ige Fursorge. Das hatte aber bedeutet, da? er an Land bleiben — schlimmer noch, da? er einen Posten im Innendienst der Admiralitat annehmen mu?te.

Warum also hatte er seine weitere Verwendung auf See erbeten, fast gefordert? Drei seiner Vorgesetzten hatten ihm bedeutet, da? er schon vor seinem letzten gro?en Sieg einen Posten in London mehr als verdient gehabt hatte. Und dennoch hatte er gefuhlt, da? sie froh waren, als er ihre Angebote ablehnte.

Schicksal — das mu?te es wohl sein. Er drehte sich in der gro?en Kajute um und musterte die niedrige wei?e Decke, die grunen Lederstuhle, die Lamellenturen, die zu seinem Schlafraum fuhrten oder auf den Vorraum hinaus, wo ein Wachtposten seinen Privatbereich rund um die Uhr abschirmte.

Er konnte sich gut an das letzte Mal erinnern, als er die Hyperion mit Muhe nach Plymouth gebracht hatte. An die starrende Menge, die sich am Ufer drangte, und an das Jubelgeschrei, mit dem man den heimkehrenden Sieger empfing. So viele waren gefallen, noch mehr fur ihr Leben verkruppelt nach dem Triumph uber Lequillers Geschwader in der Biskaya. Und er dachte auch an die Eroberung seines gro?en HundertKanonen-Flaggschiffs Tornado, das er spater als Flaggkapitan eines anderen Admirals fuhren sollte.

Aber es war dieses Schiff, dessen er sich am besten entsann: die Hyperion mit ihren vierundsiebzig Geschutzen. Er war zu ihrem Liegeplatz in Plymouth gegangen, um ihr zum letztenmal Lebewohl zu sagen, wie er jedenfalls glaubte. Da lag sie, zerschlagen und von Kugeln aufgerissen, Takelage und Segel zerfetzt, die gesplitterten Decks von Blut befleckt. Es hie?, sie wurde nie wieder kampfen. Wahrend sie sich bei schlechtem Wetter heimwartsgequalt hatte, sah es mehrmals so aus, als wurde sie doch noch sinken. Als er sie im Dock so daliegen sah, hatte er fast gewunscht, sie hatte ihren Frieden auf dem Meeresgrund gefunden. Im weiteren Verlauf des Krieges, der sich verscharfte und ausweitete, hatte man sie zu einem schwimmenden Vorratslager gemacht. Mastenlos, ihre einstmals so belebten Batteriedecks mit Kisten und Kasten vollgepackt, war sie zu einem Teil des Arsenals geworden.

Die Hyperion war das erste Linienschiff gewesen, das Bolitho kommandierte. Damals wie heute war er im Herzen ein Mann der wendigeren Fregatten geblieben. Die Vorstellung, Kommandant eines Zweideckers zu werden, hatte ihn entsetzt. Aber er hatte trotzdem nicht gezogert, wenn auch aus anderen Grunden. Von einem Fieber heimgesucht, das ihn in der Sudsee fast umgebracht hatte, war er an Land stationiert gewesen und hatte Mannschaften rekrutiert. Die Franzosische Revolution fegte wie ein Flachenbrand uber den Kontinent. Als ob es gestern gewesen ware, entsann er sich auch des Tages, als er sein Schiff in Gibraltar betreten hatte. Die Hyperion war alt und mude gewesen, trotzdem hatte sie ihn fasziniert, als hatten sie einander auf irgendeine Weise gebraucht.