Eine letzte Breitseite: Kommodore Bolitho im ostlichen Mittelmeer - Kent Alexander. Страница 72
Er ging zur Leeseite. Weit vorn sprang eine dunne Wassersaule hoch. Die Franzosen und ihre neuen Geschutze waren sehr gut. Auf diese Entfernung konnten sie kaum noch danebenschie?en, und dennoch warteten sie ab. Sparten ihre Munition fur die Hauptmasse des Geschwaders, das sie erwarteten; oder sie wollten sich erst uber die Taktik der Englander klarwerden.
Nein, das konnte nicht stimmen. So vertrauensselig konnte kein Artillerieoffizier sein.
Er horte, wie das Ruderrad uberkam, die neugesetzte Fock erst killte und dann zog, wie die Brassen dichtgeholt, die Rahen getrimmt wurden. Auf dem Achterdeck, das sich nach Lee neigte, ruckte einer der Neunpfunder heftig an seinen Zugen. Auf diese plotzliche Segelverstarkung wurde die franzosische Artillerie wahrscheinlich reagieren.
So gelassen wie moglich schritt er zur anderen Seite und spahte uber das wimmelnde Batteriedeck nach dem franzosischen Zwe i-decker. Unter geringster Besegelung stand er in etwa zwei Meilen Distanz. Schon das war ein Fehler. Sein Kommandant befehligte das starkste der anwesenden Kriegsschiffe, seine erste Pflicht war es, die Transportflotte zu schutzen, ganz gleich, was kam.
Noch eine halbe Meile; durch sein Glas konnte Bolitho die winzigen Gestalten auf den Decks der nachstliegenden Transporter herumrennen sehen. Die glaubten wahrscheinlich immer noch, die Osiris sei ein Dreidecker und sie wurden die erste volle, vernichtende Breitseite abbekommen.
«Einen Strich anluven, Captain!»
«Aye, Sir. Kurs Nord zu West.»
Bolitho sah Pascoe fragend an.»Ist die Nicator zu sehen?»
«Nein, Sir. «Pascoe deutete auf den Pulk der Schiffe.»Sie la?t sich ein vielversprechendes Ziel entgehen.»
Doch Bolitho kannte Adam gut genug, um diese kuhle Bemerkung zu durchschauen. Er sah auch, wie Midshipman Breen, der Pascoe beim Signaldienst half, diesen anstarrte, als flehe er um die Bestatigung, alles sei in Ordnung.
Die nachsten, an der Spitze zweier getrennter Reihen ankernden Transporter eroffneten das Feuer mit ihren Buggeschutzen; winselnd flogen die Kugeln hoch uber das Schiff; eine nur schlug ein sauberes Loch ins Gro?marssegel.
Plotzlich rief der Master:»Untiefen an Backbord voraus, Sir!»
Unwillig erwiderte Farquhar:»Von denen sind wir doch klar! Was soll ich denn dagegen tun, Mann? Fliegen?»
Von dem, was jetzt kam, horte Bolitho uberhaupt nichts, wie in einem Fiebertraum: an Backbord barst das Schanzkleid auseinander, mit einer Eruption umherfliegender Splitter rissen die Decksplanken in schiefer Linie auf, Trummer und das ganze Rohr eines Neunpfunders landeten auf der anderen Deckseite. Das geladene Geschutz ging los, seine Kugel ri? eine andere Kanone um, die auf ihre Bedienung sturzte; die Schreckens- und Schmerzens-schreie gingen im Getose unter.
Das schwere Gescho?, eine doppelte Ladung wahrscheinlich, hatte auch das Ruderrad zertrummert. Zwei Rudergasten lagen tot oder besinnungslos daneben, ein dritter war nur noch ein blutiger Brei. Der explodierte Neunpfunder hatte Bevan, den Master, fast entzweigeschnitten, sein Blut ergo? sich uber das gesplitterte Deck; eine Hand krallte sich in die herausquellenden Eingeweide, als wolle sie allein sich noch ans Leben klammern.
Plowman tauchte aus dem driftenden Qualm auf.»Ich ubernehme, Sir!«Er zerrte einen verangstigten Matrosen unter einem Sto? Hangematten hervor.»Auf! Komm mit nach achtern, wir schlagen eine Talje am Ruderkopf an!»
Wieder ein Krachen, diesmal seitlich am Achterdeck. Mehrere Marine-Infanteristen sturzten von der Leiter, und Bolitho horte die schwere Kugel die Bordwand durchschlagen und durch das menschenwimmelnde Geschutzdeck pflugen.
«Segel weg, Captain!«schrie er und hob den Degen.»Die Franzosen haben sich eingeschossen!»
Er konnte weder Angst noch Bitterkeit empfinden, nur Wut. Die jetzt steuerlose Osiris drehte schwerfallig vor den Wind — Bevan, der tote Master, hatte die Gefahr geahnt, ohne zu begreifen, was sie bedeutete. Jetzt war es zu spat. Der Druck des Windes gegen Segel und Rumpf reichte aus, um die Osiris auf jene Sandbank zuzutreiben.
Der Feind hatte sein Eroffnungsfeuer benutzt wie einen Stachelstock gegen streunendes Vieh. Ein Sto? hier, ein Stich dort, um das hilflose Rind in eine sorgfaltig aufgebaute Falle zu treiben.
Die beiden verborgenen Geschutze feuerten jetzt mit neuer Kraft. Die Kugeln krachten in den Schiffsrumpf oder schlugen gefahrlich nahe bei der Buzzard ein, die immer noch auf die ankernden Schiffe zuhielt. Jetzt rief Pascoe:»Die feindliche Fregatte setzt mehr Segel, Sir! Und eine Korvette kommt vom Ankerplatz klar!»
Bolitho richtete sein Glas durch den driftenden Rauch zuerst auf die Fregatte. Lang und schlank. Achtunddrei?ig Kanonen gegen Javals zweiunddrei?ig. Vorausgesetzt, da? er bisher der schweren Artillerie entgangen war, wurde er eine ganz gute Chance haben. Wenn er die Korvette abwehren konnte. Wenn, wenn, wenn, klang es hohnend durch sein Hirn.
In der Linse erschien ein dunkler Fleck, und Bolitho schwenkte sie weiter, um den franzosischen Vierundsiebziger ins Blickfeld zu bekommen. Auch jetzt noch fuhr er nur unter den notwendigsten Segeln und naherte sich der Osiris ganz langsam auf konvergierendem Kurs. Die Geschutze waren ausgerannt, aber noch im Schatten. Er dachte daruber nach. Im Schatten? Also legte der Kommandant keinen Wert darauf, die Luvposition zu behalten. Sie hielt von Steuerbord auf die Osiris zu, die gerefften Marssegel dicht angebra?t; Vorderkastell und sogar Galion wimmelten von Matrosen und blinkenden Waffen. Er konnte den Namen deutlich ablesen: Immortalite.
«Was ist mit dem Ruder, Mr. Outhwaite?«brullte Farquhar heiser.»Haben Sie ein Notruder fertig?»
Bolitho beobachtete das gekrauselte Wasser hinter der Sandbank. Noch funfzig Yards, knapp. Selbst wenn sie Anker warfen, konnten sie jetzt nicht mehr freikommen und schon gar nicht den Transportschiffen irgendwelchen Schaden zufugen.
Er beobachtete den Zweidecker mit der im Sonnenschein leuchtenden Trikolore und zuckte zusammen, als er noch eine zweite Flagge am Gro?mast entdeckte: einen langen, gespaltenen Wimpel.
Pascoe sah ihn an und versuchte zu grinsen.»Ein Kommodore, Sir. Fur uns gehorte sich eigentlich ein richtiger Admiral!»
Eine Kugel fuhr donnernd durch eine der unteren Stuckpforten; Bolitho horte Schreie und Rufe nach den Maaten des Schiffsarztes.
Er wandte sich wieder dem franzosischen Schiff zu. Langst hatte Probyn hier sein und eine volle Breitseite in die ankernden Transporter feuern mussen, die jetzt vollkommen unverteidigt waren, da der Zweidecker und seine kleineren Gefahrten an der Kuste entlangsegelten, um das Gefecht zu beginnen. Die Nicator ware auf keinen Widerstand gesto?en. Zorn wallte brennend in ihm auf.
Wieder erbebte das Deck, und mit einem Knall wie von einem Pistolenschu? kam die Vormaststenge herunter und sturzte uber Bord, ein schlangengleiches schwarzes Gewirr von gebrochenen Stangen und Wanten mit sich rei?end.
«Aufgelaufen!«schrie Farquhar mit wildem Blick. Er trat ein paar Schritt zur Seite und rutschte dabei in einer Blutlache aus.»Gottverdammt!«Er schutzte sein Gesicht mit dem gebogenen Arm, denn wieder schlug eine Kugel ins Schanzkleid und ri? zwei Manner nieder, die einen verwundeten Kameraden von der Stuckpforte zuruckzogen.
«Ihre Befehle, Sir?«fragte Farquhar mit ausdrucksloser Stimme.
Bolitho lie? die Transporter nicht aus dem Auge; sie schienen sich jetzt zu bewegen, schienen in einem riesigen Pulk am Bug vorbeizuziehen. Doch das sah nur so aus, weil die Osiris unter dem Druck des Windes sehr langsam drehte, wahrend ihr Vordersteven im harten Sand festsa?.
«Ich glaube«, sagte er langsam,»wir werden bald die Steuerbordbatterien abfeuern konnen.»
Pascoe nickte dazu. Sein Gesicht war aschfahl, denn weitere Explosionen schleuderten Schlamm und Spruhwasser uber die Netze. Der bemalte Streifen Leinwand, der den Feind eine Zeitlang getauscht hatte, war langst vom hei?en Sturmwind der Kanonen weggerissen. Schmerzhaft fest packte Bolitho mit der Rechten seinen linken Arm, um sich nicht die Verwustungen und das noch drohende Unheil auszumalen.