Der Schwarm - Schatzing Frank. Страница 28

Inglewood hatte einen Helikopter geschickt. Keine zwei Stunden nach seinem Funkgesprach mit Shoemaker sah Anawak die spektakulare Landschaft Vancouver Islands unter sich hinwegziehen. Tannenbestandene Hugel wechselten mit schroffen Gebirgskuppen, dazwischen glitzerten Flusse und lockten blaugrune Seen. Die Schonheit der Insel konnte nicht daruber hinwegtauschen, dass die Holzwirtschaft den Waldern arg zugesetzt hatte. Wahrend der vergangenen hundert Jahre hatte sie sich zum bedeutendsten Industriezweig der Region entwickelt. Uber weite Flachen war der Kahlschlag nicht zu ubersehen.

Sie lie?en Vancouver Island hinter sich und uberflogen die viel befahrene Strait of Georgia, Luxusliner, Fahren, Frachter und Privatyachten. In weiter Ferne erstreckten sich die imposanten Gebirgsketten der Rocky Mountains mit ihren schneegefleckten Gipfeln. Turme aus blauem und rosafarbenem Glas saumten eine weitlaufige Bucht, in der Wasserflugzeuge aufstiegen und landeten wie Vogel, ebenso bunt und zahlreich.

Der Pilot sprach mit der Bodenstation. Der Helikopter ging tiefer, drehte eine Kurve und hielt auf die Dockanlagen zu. Kurz darauf landeten sie auf einer freien Flache von den Ausma?en eines riesigen Parkplatzes. Zu beiden Seiten turmten sich Stapel geschichteten Zedernholzes, das auf seinen Abtransport wartete. Etwas weiter lagerten Schwefel und Kohle in kubistischen Haufen. Ein gewaltiger Cargoliner ankerte am Pier. Anawak sah eine Gruppe von Menschen, aus der sich ein Mann loste und zu ihnen heruberkam. Sein Haar flatterte im Wirbelwind der Motoren. Er trug einen Mantel und hatte die Schultern hochgezogen gegen die kuhle Witterung. Anawak loste den Sicherheitsgurt und machte sich bereit zum Ausstieg.

Der Mann zog die Tur auf. Er war gro? und stattlich, Anfang sechzig, mit einem runden, freundlichen Gesicht und wachen Augen. Er lachelte, als er Anawak die Hand reichte.

»Clive Roberts«, sagte er. »Managing Director.«

Sie schuttelten einander die Hande. Anawak folgte Roberts zu der. Gruppe, die augenscheinlich mit der Inspektion des Frachters befasst war. Er sah Seeleute und Personen in Zivilkleidung. Immer wieder schauten sie an der Steuerbordseite des Schiffs empor, schritten daran entlang, blieben stehen und gestikulierten.

»Sehr freundlich, dass Sie so schnell kommen konnten«, sagte Roberts. »Sie mussen entschuldigen. Normalerweise fallen wir nicht derart mit der Tur ins Haus, aber die Sache brennt uns unter den Nageln.«

»Keine Ursache«, erwiderte Anawak. »Worum geht’s?«

»Um einen Unfall. Moglicherweise.«

»Das Schiff dort?«

»Ja, die Barrier Queen. Genauer gesagt hatten wir ein Problem mit den Schleppern, die sie nach Hause bringen sollten.«

»Sie wissen, dass ich Experte fur Cetacaen bin? Verhaltensforscher. Wale und Delphine.«

»Genau darum geht es. Um Verhaltensforschung.«

Roberts stellte ihm die Personen vor. Drei gehorten zum Management der Reederei, die anderen vertraten den Technischen Vertragspartner. Ein Stuck weiter luden zwei Manner Tauchequipment aus einem Transporter. Anawak sah in besorgte Gesichter, dann nahm ihn Roberts beiseite.

»Augenblicklich konnen wir leider nicht mit der Besatzung sprechen«, sagte er. »Aber ich lasse Ihnen eine vertrauliche Kopie des Berichts zukommen, sobald er vorliegt. Wir mochten die Sache nicht unnotig breittreten. Kann ich mich auf Sie verlassen?«

»Naturlich.«

»Gut. Ich gebe Ihnen eine Zusammenfassung der Ereignisse. Danach entscheiden Sie, ob Sie bleiben oder wieder abfliegen wollen. So oder so kommen wir fur samtliche Ausfalle und Unannehmlichkeiten auf, die wir Ihnen verursacht haben.«

»Sie verursachen keine Umstande.«

Roberts sah ihn dankbar an. »Sie mussen wissen, die Barrier Queen ist ein ziemlich neues Schiff. Erst kurzlich auf Herz und Nieren gepruft, vorbildlich in allen Disziplinen, ordnungsgema? zertifiziert. Ein 60000Tonnen-Frachter, mit dem wir bislang ohne Probleme Schwerlaster verschifft haben, vorwiegend nach Japan und zuruck. Wir stecken eine Menge Geld in die Sicherheit, mehr, als wir mussten. Jedenfalls die Barrier Queen war auf dem Ruckweg, voll beladen.«

Anawak nickte wortlos.

»Vor sechs Tagen erreichte sie die 200-Seemeilen-Zone vor Vancouver Gegen drei Uhr morgens. Der Steuermann legte 5° Ruder, eine Routinekorrektur. Er hielt es nicht fur notig, einen Blick auf die Anzeige zu werfen. Weit vorne waren die Lichter eines anderen Schiffs zu sehen, an denen man sich mit blo?em Auge orientieren konnte, und eigentlich hatten sich diese Lichter nun nach rechts verschieben mussen. Aber sie blieben, wo sie waren. Die Barrier Queen fuhr immer noch geradeaus. Der Steuermann gab Ruder zu, ohne dass eine sichtbare Kursanderung erfolgte, also ging er bis zum Anschlag, und plotzlich klappte es. — Leider klappte es etwas zu gut.«

»Er fuhr jemandem rein?«

»Nein. Das andere Schiff war zu weit weg. Aber anscheinend hatte das Ruder geklemmt. Jetzt lag es am Anschlag und klemmte wieder. Es lie? sich nicht mehr zuruckbewegen. Ein Ruder am Anschlag bei 20 Knoten Fahrt … ich meine, ein Schiff dieser Gro?e stoppen Sie nicht eben mal so ab! Die Barrier Queen geriet bei hoher Geschwindigkeit in einen extrem engen Drehkreis. Sie legte sich auf die Seite, samt Ladung. 10° Krangung, haben Sie eine Vorstellung, was das hei?t?«

»Ich kann’s mir denken.«

»Knapp uber dem Wasserspiegel befinden sich die Offnungen fur die Fahrzeugdeckentwasserung. Bei hoher See werden sie unablassig geflutet, und ebenso schnell lauft das Wasser jedes Mal wieder ab. Bei einer derartigen Schieflage kann es aber passieren, dass sie permanent unter Wasser geraten. Dann lauft Ihnen das Schiff im Handumdrehen voll. Gott sei Dank hatten wir ruhige See, aber kritisch war es dennoch. Das Ruder lie? sich nicht zurucklegen.«

»Und was war der Grund?«

Roberts schwieg einen Moment.

»Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass der Schlamassel jetzt erst richtig losging. Die Barrier Queen stoppte die Maschinen, funkte ›Mayday‹ und wartete. Sie war eindeutig manovrierunfahig. Verschiedene Schiffe im Umkreis anderten vorsorglich ihren Kurs und hielten auf die Stelle zu, und in Vancouver setzten sich zwei Bergungsschlepper in Bewegung. Sie trafen zweieinhalb Tage spater ein, am fruhen Nachmittag. Ein 60-Meter-Hochseeschlepper und ein 25-Meter-Boot. Das Schwierigste ist immer, die Leine vom Schlepper so auszuwerfen, dass sie an Bord aufgefangen wird. Bei Sturm kann das Stunden dauern, ein endloses Procedere, erst die dunne Leine, dann die nachstdickere, dann die schwere Trosse. Aber in diesem Fall … Es hatte kein Problem darstellen sollen, das Wetter war unverandert gut und die See ruhig. Aber die Schlepper wurden gehindert.«

»Gehindert? Von wem?«

»Na ja …« Roberts verzog das Gesicht, als sei es ihm peinlich weiterzusprechen. »Es sieht ganz so aus, als hatten … Mein Gott! Haben Sie je von Angriffen durch Wale gehort?«

Anawak stutzte.

»Auf Schiffe?«

»Ja. — Auf gro?e Schiffe.«

»Das ist au?erst selten.«

»Selten?« Roberts horchte auf. »Aber es hat so was gegeben.«

»Es gibt einen verbrieften Fall. Er stammt aus dem neunzehnten Jahrhundert. Melville hat ihn zu einem Roman verarbeitet.«

»Sie meinen Moby Dick? Ich dachte, das sei nur ein Buch.«

Anawak schuttelte den Kopf.

»Moby Dick ist die Geschichte des Walfangers Essex. Er wurde tatsachlich von einem Pottwal versenkt. Ein 42-Meter-Schiff, aber aus Holz und wahrscheinlich schon ein bisschen morsch. Aber immerhin. Der Wal rammte das Schiff, und es lief innerhalb weniger Minuten voll. Die Mannschaft soll anschlie?end Wochen auf See getrieben sein in ihren Rettungsbooten … Ach ja, und es gibt zwei Falle, die sich vergangenes Jahr vor der australischen Kuste ereignet haben! In beiden Fallen wurden Fischerboote zum Kentern gebracht.«

»Wie geschah das?«