Der Brander: Admiral Bolitho im Kampf um die Karibik - Kent Alexander. Страница 36

Um sich abzulenken, dachte Bolitho an Tyrrell. Er war wieder auf seine Vivid zuruckgekehrt, um die Sturmschaden zu beheben und die Narben auszubessern, die der Beschu? der spanischen Drehbassen hinterlassen hatte.

Sein plotzliches Auftauchen hatte Bolitho mehr aus dem Gleichgewicht gebracht, als er sich eingestehen wollte. Seither verfolgte ihn die Erinnerung an die lange zuruckliegenden, gemeinsamen Erlebnisse, an die kleine Sparrow und die schicksalhafte Rolle, die das Schiff fur sie beide gespielt hatte.

Wurden die alten Bilder ihn denn auf ewig verfolgen?

Erst letztes Jahr war die Fregatte Phalarope, Bolithos zweites Schiff, wie ein Gespenst aus der Vergangenheit aufgetaucht und in seinem Geschwader mitgesegelt; und nun suchte ihn die Erinnerung an die alte Sparrow heim.

War er damals wirklich glucklicher gewesen, wie ihm die Erinnerung jetzt vorgaukelte? Mit weniger Verantwortung, aber eher bereit, das Leben zu riskieren, sogar zu verlieren, nicht in dieser standigen Sorge um seinen Ruf?

Die Trommeln an Deck verstummten, die Auspeitschung war beendet.

Er kannte Tyrrell besser als die meisten, hatte ihm beigestanden, als ihm das Bein unterm Leib weggeschossen worden war. Aber jetzt war er nur noch ein Zerrbild des Offiziers von damals. Auf den ersten Blick ein harmloser Alter, der typische kleine Handelskapitan, der uberall Geruchte uber das Kommen und Gehen der gro?en Kriegsschiffe aufschnappte. Der Skipper eines so kleinen Frachtseglers scherte sich wenig um ihre Nationalitaten oder Flaggen, sie waren fur ihn alle gleich bedrohlich. Immer auf der Suche nach erfahrenen Seeleuten, obwohl das gewaltsame Pressen nicht mehr ublich war. Aber wen kummerte schon das Schicksal eines schanghaiten Matrosen, wenn man davon uberhaupt jemals erfuhr?

Auch bei eindringlicher Befragung hatte Tyrrell auf seiner Beschreibung des machtigen Zweideckers beharrt: ohne Flagge, ohne Namen, war er doch bekannt bei den spanischen Fregatten aus Santo Domingo, ja selbst aus dem Hunderte von Meilen sudlicher gelegenen La Guaira; alle kannten und mieden ihn.

Dieses geheimnisvolle Schiff, das ohne zu zogern Keens List mit Kanonenschussen beantwortet und die Sparrowhawk erbarmungslos abgeschlachtet hatte, mu?te mit einem bestimmten Auftrag in der karibischen See und ihren Zugangen segeln; ein Auftrag, fur den sein Kommandant notfalls auch das Au?erste riskierte.

Bolitho horte Allday wieder das Oberluk offnen und war sich bewu?t, da? dieser ebenso wie Ozzard und alle anderen, die in seine Nahe kamen, wie auf Katzenpfoten um ihn herumschlichen.

Er sah seinen bulligen Bootsfuhrer an und hob hilflos die Schultern.»Ich frage mich selbst, was mit mir los ist«, sagte er entschuldigend.

Allday nickte mit einem wissenden Lacheln.»Es ist das Warten, Sir, das macht einen fertig.»

«Kann sein.»

Wieder wandte Bolitho sich der Seekarte zu. Es war jetzt eine Woche her, seit Vivid eingelaufen und Tyrrell aus der Vergangenheit aufgetaucht war. Ohne Unterstutzung durch ein zweites Schiff wagte Bolitho nicht, San Felipe sich selbst zu uberlassen. Rivers' Sympathisanten, fur deren Existenz es immer noch genugend Beweise gab, mochten einen Gegenangriff starten. Bolitho konnte es ihnen nicht einmal verdenken, denn wenn die Franzosen erst eintrafen, mu?ten sie alle ihre Hauser und Plantagen verlassen. Vielleicht hatte Keen vollig recht gehabt: wenn Rivers gehenkt wurde, war der Rebellion die Spitze genommen.

Aber Rivers besa? einflu?reiche Freunde in Amerika und in London. Auch wenn er Bolithos Meinung nach nur ein Pirat wie alle anderen war, mu?te doch ein ordentliches Gerichtsverfahren in London stattfinden, damit die Seelords das auch beweisen konnten.

Au?erdem — wenn Tyrrell recht hatte und der unbekannte Zweidek-ker einen Uberfall auf San Felipe vorbereitete, dann ware es Torheit gewesen, den Hafen ohne Schutz zu lassen. Achates hatte selbst bewiesen, wozu ein Schiff fahig sein konnte, wenn ein hoher Einsatz winkte.

Die Tur ging auf, und Adam betrat die Kajute.

Seit ihrem Wiedersehen war eine Woche vergangen, und doch hatten sie nur wenige Worte gewechselt. Bolitho spurte, da? Adam etwas vor ihm verbarg. Oder vielleicht war er selbst zu beschaftigt und in Gedanken gewesen, um das Vertrauen des jungen Leutnants zuruckzugewinnen?

«Signal von der Festungsbatterie, Sir«, meldete Adam.»Die Brigg Electra halt auf den Hafen zu und sollte binnen einer Stunde hier Anker werfen.»

«Danke, Adam.»

Bolitho erinnerte sich noch gut an ihren jungen Kommandanten, der ihm vom Auffinden der Sparrowhawk-Uberlebenden berichtet hatte, ubernommen von dem amerikanischen Handelsschiff. Napier, so hie? er. Er mu?te jeden Fetzen Tuch gesetzt haben, wenn er inzwischen bis Antigua und dann westwarts nach San Felipe gesegelt war. Durfte er hoffen, da? Electra als Reprasentantin britischer Staatsgewalt im Hafen bleiben und die Aufsassigen in Schach halten wurde? Sie war zwar nur eine kleine Brigg, segelte aber unter der gleichen Flagge wie Achates. Bolitho vermutete, da? vielen Inselbewohnern selbst ein langer anwesendes britisches Kriegsschiff noch lieber war als ein franzosisches oder spanisches, das aus dem unbewachten Zugang seinen Vorteil zog.

Er trat zu den Heckfenstern und beschattete seine Augen mit der

Hand.

«La? dem Kommandanten der Electra signalisieren, da? er sich gleich nach dem Ankerwerfen bei mir melden soll.»

Adam lachelte zuruckhaltend.»Ich habe die Festung schon ersucht, dieses Signal an Electra weiterzugeben, Onkel.»

Bolitho wandte sich um und hob die Hande.»Eines schonen Tages wirst du noch mal einen tuchtigen Kommandanten abgeben, mein Junge.»

Keen betrat die Kajute und lie? sich auf Bolithos Wink in einen

Stuhl fallen.

«Ich frage mich, was sie uns Neues bringt, Sir.»

Dankbar nahm er ein Glas Wein entgegen und setzte es durstig an. Es war Rheinwein aus Ozzards heimlichem Vorrat in den Bilgen, den er seit England wie einen Schatz hutete.

«Mir sind alle Neuigkeiten recht. Manchmal komme ich mir hier wie ein Taubstummer vor.»

«Vielleicht rufen Ihre Lordschaften uns zuruck«, uberlegte Keen.

Bolitho ging nicht darauf ein.»Adam, ein Signal an Vivid«, sagte er.»Oder besser, la? dich ubersetzen und sprich selbst mit Mr. Tyrrell. Ich mochte, da? er an Bord ist, wenn wir auslaufen.»

Keen wartete, bis die Tur sich hinter Adam geschlossen hatte, dann stellte er sein Glas bedachtig ab.»Gestatten Sie mir eine Bemerkung,

Sir?»

«Sie sind mit meiner geplanten Taktik nicht einverstanden, wie?»

Keen lachelte knapp.»Sie gehen damit ein sehr hohes Risiko ein. Ein doppeltes sogar, um genau zu sein. «Als Bolitho schwieg, fuhr er fort:»Dieser Tyrrell — wieviel wissen Sie denn schon von ihm?»

«Er war mein Erster Offizier. «Keen nickte nur.»Sie meinen, nach zwanzig Jahren ist das ein bi?chen wenig?»

Keen hob die Schultern.»Schwer zu sagen, Sir. Er hat sich ja selbst als einen verzweifelten Mann bezeichnet, der seine Familie und seinen guten Ruf verlor, weil er lieber fur den Konig als fur Washington kampfen wollte.»

«Und weiter?«Bolitho merkte, da? Allday den Atem anhielt.

«Angenommen, wir sto?en auf den Spanier und zwingen ihn zu einem Gefecht — wie verhalten wir uns, wenn er seine wahre Flagge zeigt? Mochten Sie der Zundfunke zu einem neuen Krieg sein?»

«Und das zweite Risiko?»

Keen au?erte seine Bedenken vollig zu recht. Trotzdem fuhlte Bo-litho sich dadurch noch einsamer als zuvor.

«Zweitens steht zu befurchten, da? der Spanier — falls er sich uberhaupt noch in diesen Gewassern aufhalt — nur darauf wartet, da? wir den Hafen verlassen, damit er Achates' Rolle hier ubernehmen kann. Dann mu?ten wir uns den Ruckweg teuer erkampfen, nicht gegen ein paar unerfahrene Pflanzer und die Inselmiliz, sondern gegen ein Kriegsschiff mit erfahrener Besatzung. Meiner Ansicht nach ubersteigt dieses doppelte Risiko den moglichen Gewinn. «Keen senkte den Blick.»Tut mir leid, Sir, aber das mu?te gesagt werden.»