Galeeren in der Ostsee: Konteradmiral Bolitho vor Kopenhagen - Kent Alexander. Страница 40
Bock.
Bolitho zogerte noch. Er drehte sich um und warf einen Blick durch das Hafentor auf die Reede hinaus. Viele Schiffe lagen drau?en vor Anker, aber er suchte die Benbow. In zwei Wochen begann ein neues Jahr: 1802. Was mochte es der Benbow und allen, die sie auf ihren machtigen Planken trug, bringen?
Endlich kletterte er in die Kutsche und lie? sich erleichtert in die weichen Kissen sinken.
«Haben Sie Schmerzen, Sir? Wir konnen hier eine Zeitlang stehenbleiben, wenn Sie es wunschen. Wagen und Pferde stehen zu Ihrer Verfugung, so lange Sie es wunschen.»
Bolitho bewegte sein Bein probeweise.»Das mu? aber ein sehr guter Freund sein.»
«Ihm gehort die halbe Grafschaft, Sir.»
Bolitho zwang seine Glieder, sich Zentimeter um Zentimeter zu entspannen.»Fahren Sie los. Die Arbeit des Doktors scheint zu halten. «Er lehnte sich zuruck und schlo? die Augen. Dabei kehrten noch einmal all die fluchtigen Erinnerungen zuruck: Alldays Gesicht, die Gehilfen des Schiffarztes rundum, die Schmerzen, seine eigene Stimme, achzend und flehend wie die eines Fremden. Und dann dieser Morgen. Die Seeleute, die ihm zujubelten. Er hatte sie an die Schwelle des Todes gefuhrt, und sie wunschten ihm trotzdem noch Gutes.
Die Bewegungen der Kutsche glichen denen eines Bootes in kabbeligem Wasser, und als das Geklapper der Hufe und Knarren der Rader auf Kopfsteinpflaster in das dumpfe Gerausch einer schlammigen Landstra?e uberging, ubermannte Bolitho der Schlaf.
«Brrr, Ned! Halt, Blazer!»
Bolitho schreckte aus seinem Schlaf hoch und bemerkte gleich mehrere Dinge auf einmal: da? es viel kalter geworden war und da? sich Graupelkorner in den Ecken der Wagenfenster gesammelt hatten. Au?erdem schaukelte sein Sitz heftig. Das lag daran, da? Browne mit aller Gewalt versuchte, das Fenster zu offnen. Er hielt dabei eine gespannte Pistole in der anderen Hand.
Browne fluchte:»Gottverdammich, es ist festgeklemmt!«Er bemerkte, da? Bolitho aufgewacht war, und setzte unnotigerweise hinzu:
«Drau?en gibt's Schwierigkeiten, Sir. Stra?enrauber, oder so ahnlich.»
Das Fenster fiel so plotzlich herunter wie das Messer einer Guillotine, die kalte Luft stromte herein und fullte in Sekunden das Wageninnere.
Bolitho horte, da? die Pferde unter Kontrolle waren und ihre Hufe nur auf sumpfigem Untergrund schlitterten. Es war der recht Ort fur einen Raububerfall, weit und breit kein Haus zu sehen.
Der Wagen hielt, und ein Mann mit wei?en Augenbrauen schaute zu ihnen herein.
Bolitho schob Brownes Pistole zur Seite. Es war Allday, Gesicht und Brust mit Schnee und Graupelkornern bedeckt.
Allday sagte:»Ein Unfall, Sir. Der andere Wagen ist von der Stra?e abgekommen. Jemand scheint verletzt zu sein.»
Browne kletterte aus dem Wagen und protestierte, als Bolitho ihm folgte.
Drau?en blies ein starker, stetiger Wind, und als die beiden Offiziere sich hinter Allday vorwartskampften, wehten ihre schweren Bootsumhange wie Banner aus. Der Kutscher war auf seinem Bock geblieben und beruhigte die Pferde, die mit dampfenden Leibern nervos stampften.
Die andere Kutsche, kleiner als ihre, lag im Graben neben der Stra?e. Ein Pferd stand in der Nahe und schien vollig unbeteiligt am Geschehen. Neben dem Hinterrad hob sich ein Blutflecken deutlich vom Schneematsch ab.
Allday sagte:»Hier unten, Sir!«Er arbeitete sich muhsam den Abhang hoch und schleppte dabei einen Mann hinter sich her. Dessen eines Bein stand in einem unnaturlichen Winkel ab, offensichtlich war es gebrochen.
«Vorsichtig!«Browne kniete schon neben ihm.»Bewu?tlos, der arme Teufel.»
Allday sagte:»Sieht aus, als habe er wegkriechen wollen. Um Hilfe zu holen, nehme ich an.»
Sie sahen einander an, und Bolitho befahl:»Schauen Sie in der Kutsche nach. Hier, ziehen Sie mich hoch!»
Mit einigen Schwierigkeiten bekamen sie die Tur auf und schlugen sie wie den Deckel einer Stuckpforte zuruck. Die andere Seite des Wagens lag tief im Matsch.
Bolitho sagte:»Es ist eine Frau. Und ganz allein. «Er packte den Turrahmen so fest, da? das zersplitterte Holz seine Haut ritzte. Das konnte doch nicht sein! Er schlief noch, und dies war nur ein qualendes Traumgebilde.
Er spurte Allday neben sich.»Alles in Ordnung, Sir?»
«Schauen Sie hinein!«Kaum konnte er seine Stimme beherrschen.
Allday zwangte ein Bein durch den Turspalt und schlupfte dann vorsichtig hinein. Drinnen schien es ohne den bei?enden Wind und die Nasse fast warm. Er streckte die Hand aus und beruhrte die Frau, fuhr aber erschreckt zuruck, als ihr Kopf ihm langsam entgegensank.
«O mein Gott!»
Bolitho sagte:»Helfen Sie mir hinein!»
Er fuhlte nicht einmal, da? sein bandagiertes Bein gegen die Tur stie?. Alles, was er sah, war der Korper der Frau. Ihr Samtmantel war ihr durch den Sturz auf die Fu?e gerutscht. Das gleiche lange, kastanienbraune Haar, fast das gleiche Gesicht, ahnliche Zuge. Sie mu?te sogar in Cheneys Alter sein, dachte er verzweifelt.
Vorsichtig, fast ohne zu atmen, umfa?te er ihre Schultern und fuhlte zogern nach ihrem Herzen. Nichts. Er konzentrierte sich, dachte an die Kraft, die von Allday ausging. Sie mu?te leben!
Da, ein schwacher Herzschlag unter seinen Fingern.
Allday sagte heiser:»Nichts gebrochen, Sir. Nur eine ha?liche Beule an der Schlafe.«Uberraschend zart wischte er ein paar Haarstrahnen aus ihrem Gesicht.»Ich wurde es einfach nicht glauben, wenn Sie nicht hier waren.»
Bolitho hielt sie vorsichtig in den Armen, spurte ihren schwachen Atem und fuhlte, wie sich ihr Korper an seinem erwarmte.
Er horte Browne von der Stra?e rufen:»Was ist los, Sir?«Von seinem Platz bei dem verletzten Kutscher konnte er wahrscheinlich nichts sehen. Was war denn los? Bolitho uberlegte. Ein Madchen, das wie Cheney aussah, aber nicht Cheney war. Eine Kapriole des Schicksals, die sie hier auf der leeren Stra?e zusammengefuhrt hatte, sicher nur fur einen Augenblick.
Allday sagte:»Wir tragen sie am besten in unseren Wagen, Sir. «Er sah Bolitho besorgt an.»Wenn wir nicht gekommen waren, hatten sie bei dieser Kalte kaum uberlebt.»
Bolitho kletterte verwirrt aus dem Wagen. Die ganze Szene war so, wie er sie sich immer vorgestellt hatte: der zerschmetterte, umgesturzte Wagen und darin wie in einer Falle Cheney mit dem Kind unter ihrem Herzen. Der Kutscher todlich verletzt, aber Ferguson, sein einarmiger Verwalter, bei ihr. Irgendwie hatte Ferguson es geschafft, Cheney auf der Suche nach Hilfe zwei Meilen weit zu tragen, aber ohne Erfolg. Bolitho hatte sich das Bild so oft vorgestellt. Wenn diese Fremden hier Schauspieler gewesen waren, hatten sie es nicht wahrhaftiger, nicht grausamer nachstellen konnen.
Browne sagte:»Ich habe sein Bein provisorisch geschient. Er ist noch etwas benommen. «Unsicher spahte er durch den Schneeregen, sein Dreispitz glitzerte wie Glas.»Lord Swinburnes Landsitz liegt hier in der Nahe. «Er rief ihrem Kutscher zu:»Kennen Sie ihn?»
Der Kutscher nickte, offenbar nicht gewillt, weiter in die Sache hineingezogen zu werden.»Ja, Sir.»
In diesem Augenblick schien Browne zu bemerken, da? da noch etwas anderes vorsichging. Er beobachtete Allday, der die bewu?tlose Frau zum Wagen trug, und wandte sich an Bolitho, um ihn zu befragen. Aber Bolitho kletterte schon in ihren Wagen, das Gesicht so verschlossen, wie Browne es noch nie gesehen hatte.
Allday kam zuruck und sah sich den verletzten Kutscher an.
Browne flusterte ihm wutend zu:»Was ist eigentlich los, Mann?»
Allday blieb ruhig, obwohl er innerlich kochte.»Mr. Browne, Sir — wenn Sie dem Amiral helfen wollen, dann schlage ich vor, da? Sie in dem anderen Wagen mit nach Gepackstucken suchen. Hier werden sich bald Diebe einfinden wie Krahen um den Galgen. Dann konnten Sie vielleicht das Pferd hinten an unseren Wagen binden. Ich kann mit Pferden nicht umgehen.»
Als Browne sich gehorsam zur umgesturzten Kutsche begab, fugte Allday hinzu:»Der Admiral wird es Ihnen spater erklaren, Sir. Das ist keine Mi?achtung Ihrer Person, nichts fur ungut.»