Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik - Kent Alexander. Страница 31

Bolitho spitzte die Ohren. Er hatte doch geahnt, da? die Affare mit dem toten Madchen noch einmal zur Sprache kommen wurde, ja sogar, da? ihr Auslaufen irgendwie damit zusammenhing.

«Ich will nicht in Einzelheiten gehen, aber das Madchen, das Sie in diesem Bordell aufgescheucht haben, war die Tochter eines hohen New Yorker Regierungsbeamten. Das Ganze hatte sich zu keinem ungunstigeren Zeitpunkt ereignen konnen. Sir George Helpman kam mit Auftragen von Parlament und Admiralitat aus London, um zu untersuchen, womit der Krieg vorangetrieben, aus der augenblicklichen Pattsituation herausgezwungen werden kann. Wenn erst die Franzosen in voller Starke in den Kampf eingreifen, haben wir hier nicht mehr viel zu bestellen.»

«Ich dachte, wir tun alles, was in unserer Macht liegt, Sir?»

Pears sah ihn mitleidig an.»Wenn Sie etwas mehr Erfahrung hatten, Bolitho…«Er blickte argerlich zur Seite.»Helpman wird es schon selbst merken. Die korrupten Beamten, diese Laffen beim

Militargouverneur, die tanzen und trinken, wahrend unsere Soldaten drau?en die Kopfe hinhalten. Und jetzt dieser Skandal: Die Tochter eines wichtigen Regierungsbeamten arbeitet Hand in Hand mit den Rebellen. Stets fuhr sie in einer Kutsche von zu Hause weg, zog sich Mannerkleider an und traf sich mit einem Agenten Washingtons. Alle geheimen Plane, derer sie habhaft werden konnte, hat sie verraten.»

Bolitho stellte sich die Besturzung vor, die hierdurch ausgelost worden war. Mit der rotgesichtigen Hure, die ihm ins Gesicht hatte spucken wollen, verspurte er jetzt beinahe Mitleid. Wenn derartig viel auf dem Spiel stand und es um so wichtige Personen ging, mu?te man bei ihrer Vernehmung skrupellos jedes Mittel angewendet haben.

Pears fuhr fort:»Durch ihren Verrat waren die Bruder Tracy standig in der Lage, unsere Bewegungen zu verfolgen. Ohne die Eroberung der Faithful, beziehungsweise Mr. Bunces gute Verbindungen zum Wettergott hatten wir niemals etwas davon erfahren. Es sind alles Glieder einer Kette. Noch etwas: Diese verdammte Hure hatte wohl standig ein Ohr am Schlusselloch. Jedenfalls haben die Kolonisten eine neue Festung errichtet, mit dem ausdrucklichen Auftrag, Waffen und Munition darin zu lagern und von dort aus ihre Truppen und Schiffe zu versorgen.»

Bolitho befeuchtete seine Lippen.»Und dorthin segeln wir jetzt,

Sir?»

«Das ist die Absicht, ja. Nach Fort Exeter in South Carolina, etwa drei?ig Meilen nordlich von Charlestown.»

Bolitho erinnerte sich an das, was sich vor etwa einem Jahr bei einem anderen Rebellenfort sudlich von Charlestown abgespielt hatte. Ein gro?es Geschwader mit eingeschifften Truppen war damals hingesegelt, um das Fort zu erobern, da dieses den Wasserweg nach Charlestown, dem wichtigsten Hafen sudlich von Philadelphia, blockierte. Doch statt eines Sieges hatte es eine schmahliche Niederlage gegeben. Einige Schiffe waren infolge der ungenauen Seekarten bei dem Versuch, die Truppen zu landen, auf Grund gelaufen. An anderen Stellen war das Wasser fur die Soldaten zu tief, um wie beabsichtigt an Land zu waten. Und die ganze Zeit uber waren die Schiffe dem morderischen Bombardement der Kolonisten ausgesetzt, die geschutzt hinter ihren dicken Festungsmauern hervor feuerten. Schlie?lich hatte Kommodore Parker, dessen Flaggschiff am starksten beschadigt worden war, den Ruckzug befohlen. Die Trojan — auf dem Wege dorthin, um Verstarkung zu bringen — traf auf das bereits geschlagen zuruckkehrende Geschwader.

Der Marine, die bis dahin weder Fehlschlage noch Niederlagen gekannt hatte, mu?te dies wie eine Katastrophe erscheinen.

Pears, der Bolithos Gesicht beobachtet hatte, sagte plotzlich:»Ich sehe, Sie haben es nicht vergessen. Ich hoffe nur, da? wir spater ebenfalls Gelegenheit haben werden, uns an dieses neue Abenteuer zu erinnern.»

Bolitho merkte, da? die Unterhaltung beendet war, und erhob sich. Pears fugte noch hinzu:»Ich habe Ihnen das alles wegen der Rolle erzahlt, die Sie dabei spielten. Ohne Ihr Eingreifen hatten wir dieses Madchen wahrscheinlich niemals entlarvt. Sir George Help-man hatte nicht Himmel und Holle in Bewegung setzen konnen. «Er lehnte sich lachelnd zuruck.»Und ohne Sir George wurde unser Admiral nicht zu beweisen versuchen, da? er schafft, was andere nicht schafften. Alles Glieder in einer Kette, Bolitho, wie ich vorhin schon sagte. Denken Sie daran!»

Bolitho trat ins Freie und prallte beinahe gegen Hauptmann d'Esterre.»Dick, du siehst aus, als hattest du einen Geist gesehen«, scherzte er.

Bolitho zwang sich zu einem Lacheln.»Ja, das habe ich auch: meinen eigenen.»

Als Cairns spater die Aufgabe erhielt, den anderen Offizieren den Einsatzbefehl in vollem Umfang zu erlautern, wunderte sich wohl selbst der phantasieloseste unter ihnen uber des Admirals Kuhnheit.

Noch bevor sie von Land aus gesehen werden konnten, sollte die Korvette Spite samtliche Marineinfanteristen der beiden gro?en Schiffe ubernehmen und bei Dunkelheit, mit mehreren Booten im Schlepptau, in die Bucht segeln. Die beiden Zweidecker Resolute und Trojan, begleitet von der Vanquisher, wurden ihre Fahrt entlang der Kuste fortsetzen und das Fort ansteuern, das vor einem Jahr Kommodore Parkers Angriff abgeschlagen hatte.

Beobachtern an Land sowie den Offizieren des Forts und der Garnison von Charlestown wurde dieser zweite Angriffsversuch plausibel erscheinen. Verletzter Stolz der Englander und die Tatsache, da? dieses Fort weiterhin die Einfahrt nach Charlestown beherrschte und immer noch als Umschlagplatz fur Waffen und Munition diente, waren hinreichende Grunde.

Fort Exeter dagegen war leichter zu verteidigen, besonders gegen Angriffe von See her, und seine Garnison wurde sich vollig sicher fuhlen, wenn das kleine Geschwader in Sichtweite ihrer Ausgucksposten erst vorbeigesegelt war.

Wahrend Bolitho Cairns gleichma?iger, leidenschaftsloser Stimme lauschte, glaubte er, Konteradmiral Coutts aus dessen Mund sprechen zu horen.

Die Spite wurde die Soldaten, dazu bewaffnete Seeleute und das zum Ersturmen des Forts notwendige Gerat wie Leitern und dergleichen an Land setzen und noch vor Tagesanbruch wieder auslaufen. Der Angriff uber Land wurde dem altesten Offizier der Marineinfanterie uberlassen, und das war Major Samuel Paget vom Flaggschiff.

D'Esterre hatte vertraulich uber ihn geau?ert:»Ein harter Mann. Was er sich in den Kopf gesetzt hat, fuhrt er aus, nichts kann ihn davon abbringen. Andere Meinungen la?t er nicht gelten.»

Bolitho glaubte das gern. Er hatte Paget einige Male gesehen, er wirkte sehr aufrecht und gerade, tadellos in dem roten Rock mit wei?en Aufschlagen und ebensolcher Scharpe. Andererseits hatte er Schwierigkeiten, seine zunehmende Korpulenz zu verbergen. Das Gesicht, einst sehr gut geschnitten, zeigte jetzt, da er die Mitte der Drei?ig erreicht hatte, die ersten Spuren starken Trinkens und ungehemmter Tafelfreuden.

Jetzt, da ihre Aufgabe allgemein bekannt war, ging die Besatzung mit dem ublichen Gemisch von Gefuhlen ans Werk. Grimmige Resignation auf Seiten derer, die daran teilnahmen, frohlicher Optimismus bei denjenigen, die an Bord bleiben wurden. Zum vorgesehenen Zeitpunkt begann das Ubersetzen der Marineinfanteristen und der Matrosen auf die Korvette. Nach der sengenden Hitze des Julitages brachte der Abend wenig Erfrischung. Die beschwerliche und ermudende Arbeit erregte die Gemuter, und es kam unter den Leuten oft zu Handgreiflichkeiten.

Bolitho musterte die letzte Gruppe der Seeleute und uberzeugte sich, da? alle gut bewaffnet waren und in ihren Feldflaschen Wasser hatten, nicht etwa aufgesparten Rum, als Cairns zu ihm trat und fauchte:»Wieder eine Anderung!«»Wieso?»

Bolitho wartete in der Annahme, da? der Angriff verschoben worden sei.

Cairns aber sagte bitter:»Ich soll an Bord bleiben!«Er wandte sich ab, um seinen Arger zu verbergen.»Schon wieder.»

Bolitho wu?te nicht, was er sagen sollte. Cairns hatte offenbar damit gerechnet, als altester Offizier den Angriff fuhren zu durfen. Da er schon um seine Chance gebracht worden war, als Prisenkapitan eingesetzt zu werden oder wenigstens an der Eroberung der Faithful teilzunehmen, mu?te er dieses Landungsunternehmen als seine rechtma?ige Belohnung ansehen, trotz der damit verbundenen Gefahr.