Kanonenfutter - Leutnant Bolithos Handstreich in Rio - Kent Alexander. Страница 42
Bolitho fuhr fort, seine Gefuhle einer genaueren Prufung zu unterziehen. Er hatte Angst gehabt, als er glaubte, eingeklemmt unter Deck mit der Heloise untergehen zu mussen. Noch nie war er so kurz vor dem Verzweifeln gewesen. Und doch hatte er auch schon davor Kampfe mitgemacht, sogar viele Male; bereits als zwolfjahriger Kadett hatte er auf seinem ersten Schiff die Zahne zusammenbei?en mussen, als der Donner einer vollen Breitseite der Manxman uber das Wasser rollte.
In seiner Koje, nur durch die dunne Tur seiner Kammer von der ubrigen Welt getrennt, hatte er uber seine Angst nachgedacht und sich gefragt, wie seine Kameraden ihn wohl sahen und beurteilten.
Sie selber schienen sich kaum uber den Augenblick hinaus Gedanken zu machen: Colpoys wirkte hochmutig und gelangwe ilt, Palliser unerschutterlich und immer auf dem Sprung, Rhodes recht sorglos. Aber vielleicht hatte Bolithos Erlebnisse auf der Heloise und dann auf der Brigg doch einen starkeren Eindruck auf ihn gemacht, als er geglaubt hatte. Er hatte mehrere Menschen getotet oder verwundet und mit angesehen, wie andere ihre Feinde mit offensichtlicher Wollust niedergehauen hatten. Ob er sich jemals daran wurde gewohnen konnen? An den Geruch des fremden Atems dicht vor dem eigenen, an die Ausstrahlung seiner Korperwarme, wenn er versuchte, einen im Nahkampf zu uberlisten. An seine Freude, wenn er glaubte, da? man fiel, und an sein Entsetzen, wenn die eigene Klinge in sein Fleisch und auf sein Knochengerust stie?…
Einer der beiden Ruderganger meldete:»Kurs Nordnordost liegt an,
Sir.»
Als Bolitho sich umdrehte, sah er die untersetzte Gestalt des Kommandanten aus dem Niedergang auftauchen.
Dumaresq war ein schwergewichtiger Mann, aber er bewegte sich so geschmeidig wie eine Katze.
«Alles ruhig, Mr. Bolitho?»
«Aye, Sir. «Er roch nach Brandy, und Bolitho schlo? daraus, da? der Kommandant gerade seine Abendmahlzeit beendet hatte.
«Ein tuchtiges Stuck haben wir da vor uns. «Dumaresq wippte auf seinen Fersen und sah hoch, um den Stand der Segel und die ersten blassen Sterne zu beobachten. Er wechselte das Thema.»Haben Sie sich von Ihrer kleinen Schlacht erholt?»
Bolitho kam sich entblo?t vor. Es war, als hatte Dumaresq seine geheimsten Gedanken erraten.»Ich glaube schon, Sir.»
Dumaresq blieb beharrlich dabei.»Haben Sie Angst gehabt?»
«Zeitweise. «Er nickte in Erinnerung an das Gewicht der Trummer auf seinem Rucken und an das Gurgeln des steigenden Wassers.
«Gutes Zeichen. «Dumaresq nickte.»Werden Sie nie zu hart — wie schlechter Stahl. Sonst wurden Sie eines Tages brechen.»
Bolitho fragte vorsichtig:»Nehmen wir die Passagiere die ganze Strecke mit, Sir?»
«Zumindest bis nach Saint Christopher. Dort werde ich die Hilfe des Gouverneurs in Anspruch nehmen, um eine Nachricht an unseren Befehlshaber dort oder auf Antigua zu schicken.»
«Und der Schatz, Sir? Besteht noch Aussicht, ihn wiederzufinden?»
«Einige Aussicht, ja. Aber ich vermute, da? wir ihn auf ganz andere Weise entdecken, als ursprunglich vorgesehen. Der Geruch von Aufruhr hangt in der Luft. Er schmort seit dem Ende des Krieges und breitet sich immer weiter aus. Fruher oder spater werden unsere alten Feinde wieder zuschlagen. «Dumaresq wandte sich um und sah Bo-litho an, als ringe er um einen Entschlu?.»Als wir noch in Plymouth waren, habe ich von den jungsten Erfolgen Ihres Bruders gelesen. Er stellte und totete einen Rebell, der nach Amerika fliehen wollte, einen Mann von hohem Ansehen, der sich aber als ebenso verderbt erwies wie der gemeinste Verrater.« [11]
Bolitho erwiderte ruhig:»Aye, Sir. Ich war dabei.»
«Tatsachlich?«Dumaresq kicherte in sich hinein.»Davon war in der Gazette aber nichts erwahnt. Ihr Bruder wollte wohl den ganzen Ruhm fur sich allein?»
Er wandte sich ab, bevor Bolitho fragen konnte, was fur eine Verbindung — wenn uberhaupt — es gab zwischen ihrem Scharmutzel im englischen Kanal und dem mysteriosen Piers Garrick.
Dumaresq verkundete:»Ich werde jetzt mit Mr. Egmont Karten spielen. Der Doktor hat ihn als seinen Partner akzeptiert, und ich werde unseren tapferen Mr. Colpoys als meinen wahlen. «Er schuttelte sich vor Lachen.»Wir konnten ja eine von Egmonts Geldkassetten leeren, bevor wir vor Basseterre ankern.»
Bolitho seufzte und ging langsam an die Querreling. In einer halben Stunde war Wachwechsel: ein paar Worte mit Rhodes und dann hinunter in die Messe.
Er horte Yeames, den Steuermannsmaat der Wache, ungewohnlich hoflich murmeln:»Hallo, guten Abend, meine Damen!»
Bolitho fuhr herum, und sein Herz begann zu pochen, als er Aurora vorsichtig und bei ihrer Zofe eingehakt an die Leereling des Achterdecks treten sah.
Er bemerkte, da? sie zogerte, und wu?te nicht, was er tun sollte.
«Lassen Sie mich Ihnen helfen«, sagte er schlie?lich, uberquerte das Deck und ergriff ihre ausgestreckte Hand. Durch den Handschuh fuhlte er die Warme ihrer Finger, das zarte Gelenk.
«Kommen Sie auf die Luvseite, Madam. Da spritzt es nicht so, und der Ausblick ist besser.»
Sie leistete keinen Widerstand, als er sie das schrage Deck hinauf zur anderen Seite geleitete. Dann zog er sein Taschentuch und wickelte es um das Hangemattsnetz. So gelassen wie moglich erklarte er ihr, da? dies zum Schutz ihres Handschuhs vor Teer und anderen Verunreinigungen geschehe.
Sie stand nahe an den Netzen und blickte uber das dunkle Wasser in die Ferne. Bolitho roch ihr Parfum und spurte ihre verwirrende Nahe.
Schlie?lich sagte sie:»Eine lange Reise bis zur Insel Saint Christopher, nicht wahr?«Sie wandte sich um und schaute ihn an, aber ihre Augen lagen im Dunkeln.
«Wir werden uber zwei Wochen brauchen, meint Mr. Gulliver, Madam. Es sind gut dreitausend Meilen.»
Er sah ihre Zahne in der Dunkelheit leuchten, wu?te aber nicht, ob das Lacheln Besturzung oder Ungeduld mit einschlo?.
«Uber dreitausend Meilen, Leutnant?«Dann nickte sie.»Ich verstehe.»
Durch das offene Skylight horte Bolitho Dumaresqs kehliges Lachen und Colpoys Erwiderung. Sie waren zweifellos beim Kartenausteilen. Auch Aurora hatte es gehort und sagte schnell zu ihrer Zofe:»Du kannst uns verlassen. Das war ein schwerer Tag fur dich.»
Sie folgte dem Madchen mit den Blicken, als es sich zum Niedergang tastete, und fugte fur Bolitho hinzu:»Sie war ihr Leben lang nur auf festem Boden. Das Schiff mu? ihr sehr fremd sein.»
Bolitho fragte:»Was haben Sie vor? Wo werden Sie nach allem, was geschah, Sicherheit finden?»
Sie neigte den Kopf, als Dumaresq wieder laut lachte.»Das hangt von ihm ab. «Sie sah an Bolitho vorbei, und ihre Augen schimmerten wie die Gischt, als sie fragte:»Ist es Ihnen denn so wichtig?»
«Das wissen Sie doch. Ich mache mir schreckliche Sorgen.»
«Wirklich?«Mit der freien Hand ergriff sie seinen Arm.»Sie sind ein lieber Junge. «Als sie fuhlte, da? er erstarrte, setzte sie sanft hinzu:»Ich bitte um Entschuldigung. Sie sind kein Junge, sondern ein Mann, das haben Ihre Taten bewiesen, als ich dachte, da? ich sterben mu?te.»
Bolitho lachelte.»Ich bin es, der um Entschuldigung bitten mu?. Weil ich so gern mochte, da? Sie mich mogen, benehme ich mich wie ein Narr.»
Sie drehte sich um und trat naher, um ihn anzuschauen.»Sie meinen es ehrlich, das wei? ich.»
«Waren Sie nur in Rio geblieben!«Bolitho marterte sich das Hirn, wie er ihr helfen konnte.»Mr. Egmont hatte Ihr Leben nicht aufs Spiel setzen durfen.»
Sie schuttelte den Kopf, und die Bewegung ihrer tanzenden Haare stach Bolitho wie ein Dolch ins Herz.
«Er war immer gut zu mir. Ohne ihn ware ich schon vor langer Zeit verloren gewesen. Ich habe spanisches Blut. Als meine Eltern starben, wollte man mich einem portugiesischen Handler als Ehefrau verkaufen. «Sie schuttelte sich.»Ich war erst dreizehn. Und er war ein fettes Schwein.»
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Siehe Kent: Strandwolfe